Seelenasche

…«
    Sie schwiegen lang, ermüdend, sinnlos lang schwiegen sie; dann legten sie auf.
    Am Ende des Altweibersommers begann Georgi Pantov zu phantasieren. Aus dem Arbeitszimmer hörte sie, wie er einen imaginären Streit mit seiner Mutter ausfocht, sie »Meuchlerin deines Sohnes« nannte, wie er Viktoria Sestrimska mit den beschwichtigenden Worten: »Ich versichere, es ist nicht von meiner Frau, nicht von Sonja« drängte, doch sein bescheidenes Geschenk, ein goldenes Armband mit Rubin, anzunehmen, und wie er seinen alten Compagnon, den Bauunternehmer Tschakalov, »widerlicher, stinkender Schakal« nannte, bevor er ihn vom Dach stieß. In seine Augen trat ein seltsamer Glanz, der von einem Wissen jenseits aller Worte zeugte, dem weisen Kummer eines Menschen, der zunächst verwundert, aber dann mit immer größerer Sicherheit spürt, dass es Zeit ist, sich von allen und allem zu verabschieden. Sonja musste etwas tun, wenn sie ihn retten, ihn in die Wirklichkeit zurückholen wollte, musste ihn ködern mit seiner alten Schwäche für die Unfreiheiten des Begehrens. Sie hörte auf, ihm die schmerzstillenden Tabletten zu geben, aber auch das half nicht; der permanente Schmerz hatte sich schon in einen Teil seiner körperlichen und geistigen Abwesenheit verwandelt. »Wozu das alles?«, wiederholte Sonja die Worte ihres Mannes, vorwurfsvoll, mit wachsender Hilflosigkeit.
    Eines Morgens hörte sie in der Warteschlange vor dem Milchgeschäft, in der sie um Joghurt anstand, dem Gespräch zweier Frauen zu, die sich naserümpfend über eine Frau ereiferten, die sie »Schlampe« titulierten. Diese Schlampe nun sei durch die Restitution plötzlich und unerwartet reich geworden und trüge auf einmal die Nase reichlich hoch. Sonja brauchte einen Moment, bis sie schaltete. Dann blieb ihr Herz für einen Moment stehen. Sie zwängte sich aus der dicht an dicht stehenden Menschenschlange heraus, rannte zur nächsten Zeitungsbude, kaufte eine Zeitung, und wedelte, heimgekehrt, Goscho lächelnd mit dem Blatt vor der Nase herum.
    Â»Hier, Neuigkeiten vom Gesetz über Eigentumsrückgabe«, sagte sie laut.
    Â»Hast du mir doch schon von vorgelesen«, versuchte Georgi gar nicht erst, sein Gelangweiltsein zu verbergen. »Du weißt doch, dass ich das Konditorei-Café deines Vaters schon vor den Kommunisten verscherbelt habe. Also, was geht mich das an.«
    Â»Sicher, aber im Parlament haben sie Änderungen am Gesetzestext beschlossen. Hör zu …« Sie nahm ihre Brille vom Nachttisch und setzte sie sich auf die Nase, als setze sie ein Ausrufezeichen. »Das, was uns betrifft, sind die neuen Absätze in Paragraf 4. Jetzt hör zu: ›Es werden für ungültig und null und nichtig erklärt alle Kaufverträge, die zwischen 1941 und 1947 geschlossen worden sind.‹«
    Zäh und langsam wie Wasser, das in Lehm eindringt, füllten sich seine Augen mit Leben, dann mit Erstaunen und schließlich mit Tränen. Sonja fürchtete nur, er könne die Zeitung von ihr verlangen und ihrer plumpen, geradezu infamen Lüge auf die Schliche kommen; darum stand sie schnell auf und ließ ihn ins Kissen zurücksinken.
    Â»Bist du sicher?«
    Â»Aber ja«, antwortete sie.
    Â»Das bedeutet doch …«
    Sein Lächeln war so unsinnig glücklich, dass sie den Blick abwenden musste.
    Â»Ganz genau«, sagte sie.
    Â»Dann gehört das Konditorei-Café Bulgaria also wieder uns?«
    Â»Ganz genau«, sagte sie.
    Â»Na, wie gut, dass wir die Rezepte deines Vaters für all die Cremes und Torten nicht weggeworfen haben, vor allem für die wahre, für unsere Garasch-Torte.«
    Â»Ganz genau«, sagte sie.
    Â»Das heißt … Dann sind wir also reich?«
    Â»Ganz genau«, sagte sie.
    Trotz seiner Schmerzen und der Zerbrechlichkeit seiner Knochen richtete er sich allein zum Sitzen auf, indem er seinen Körper nach hinten und auf die Kissen schob. Er glich einem glücklichen Kind, das jetzt höllisch aufpassen musste, seine so toll aufgetürmten Bauklötzchen nicht umzustoßen.
    Â»Du hast viel unter mir zu leiden gehabt, stimmt’s?«
    Â»Aber nein«, sagte Sonja.
    Â»Schade, dass wir keine Kinder hatten«, seufzte er.
    Â»So war es uns eben bestimmt«, sagte sie.
    Â»Andererseits … Wenn wir Kinder gehabt hätten, hinge ich sicher mit Zähnen und Klauen an diesem