Seelenasche
vereinsamt war.
Sechs Jahre zuvor war Koitschevs Ehefrau, die arme Angelina, die ihrem Namen so viel Ehre gemacht hatte, von einem Herzinfarkt dahingerafft worden, und seine beiden Töchter hatten ihn kaltblütig und ohne zu zögern allein gelassen und sich davongemacht. Die eine hatte nach Bayern geheiratet und lebte nun im ehrwürdigen Städtchen Rothenburg ob der Tauber, die andere war mit ihrem Ehemann nach Kanada ausgewandert. Beide waren studierte Ingenieure, doch er arbeitete in diesem reichen, kalten und unfreundlichen Land als Automechaniker, sie als Babysitterin, Kindermädchen und Pflegerin alter Leute. Jeden Monat bekam er von beiden einen kurzen, beklommenen Brief ohne nennenswerten Inhalt und je fünfzig kanadische Dollar, die im Bulgarien der Wendezeit eine gehörige Stange Geld darstellten und Koitschev vor dem Pensionärselend bewahrten. So suchte dieser nur ein wenig Herzlichkeit und Wärme, wie er es in seiner Altersweinerlichkeit ausdrückte. »Das Schlimmste ist«, beklagte er sich, »dass mir jetzt nicht nur die in der Stadt aus dem Weg gehen, die immer schon gegen die Kommunisten waren, sondern auch die, die vor der Wende alles getan haben, um an mich heranzukommen und sich bei mir einzuschleimen.«
In ihren ehemaligen Garagen begannen die Leute, kleine StraÃencafés oder Geschäfte zu eröffnen, die sich langsam mit Importwaren füllten. Koitschev brachte Krum häufig eine jener veilchenfarben verpackten Schokoladen mit, die nicht minder begehrt waren als Bananen; ein andermal nahm er ihn auf den Markt mit, wo die Fleischbällchen und Hackfleischröllchen am billigsten und besten waren, oder lud ihn auf ein Bier in die Kneipe ein. Mit seiner Rente und den einhundert kanadischen Dollar in der Tasche war Koitschev einsam, aber reich, Krum hingegen arm, aber dank Newena überreich bedacht mit Liebe und Aufmerksamkeit. Das hinderte ihn aber nicht, griesgrämig und verbiestert aus der Wäsche zu schauen, hatte man ihm doch die einzige Flamme erstickt, die sein gefühlsarmes Herz erwärmt hatte, die Flamme der Revolution.
Sein Sohn Krum Krumov, ein guter Ingenieur, hatte zunächst seinen Arbeitsplatz in der Landmaschinenfabrik und dann Russe verlassen und war zu ihnen nach Widin zurückgekehrt. Doch auch hier gingen die unter seines Vaters eiserner Hand aufgebauten Werke eines nach dem anderen vor die Hunde, beginnend mit der gigantischen Polyamidfaser-Fabrik, gefolgt von den Fabriken für Autoreifen, dem Pumpenwerk und der Textilfabrik, sodass »der kleine Marijkin«, wie ihn seine ehemaligen Mitschüler und Freunde nannten, arbeitslos war und blieb. Krum Krumov war zu jeder Arbeit bereit, aber es gab keinen, der welche anbot, und so wussten die drei Marijkins kaum, wie sie bei der einsetzenden Teuerung mit den beiden winzigen Renten über die Runden kommen sollten. Der US-Dollar war, wie im übrigen »Ostblock« auch, zur inoffiziellen Leitwährung geworden, und der Wechselkurs stieg immer mehr an. Bald waren ihre kleinen Ersparnisse in bulgarischen Leva vollkommen entwertet. Bevor es zu spät war, hoben sie auch ihre Einlagen beim Mototechnikum ab, die für einen kleinen Lada bestimmt waren, doch auch diese eintausendfünfhundert Leva waren bald für Heizung und Strom verbraucht. Sie ernährten sich, wenn sie es denn taten, zumeist von Brot, Joghurt und â wenn es Saison hatte und billig war â von Gemüse.
Newena hatte sich das Häkeln Brüsseler Spitzen beigebracht, die eine Nachbarin für sie versuchte, zusammen mit Jeans, Jacken, Blousons und Schuhen auf einem kleinen Marktstand zu verkaufen. Diese Nachbarin war Bulgarischlehrerin gewesen und hatte Gedichte geschrieben. Nun fuhr ihr Sohn einmal im Monat nach Istanbul und schleppte säckeweise Textilien und Kunstlederwaren an.
In Hof und Garten hatte Newena jeden Quadratzentimeter Erde mit Tomaten und Paprika, mit Zucchini und Auberginen, Bohnen, WeiÃkohl und Petersilie bepflanzt. Ihr Sohn besorgte das Umgraben und Unkrautjäten, Newena das GieÃen und Beschneiden, und die Nutzpflanzen bedankten sich für die liebevolle Fürsorge mit reicher Ernte. Was sie nicht sofort verzehrten, legten oder kochten sie als Wintergemüse, Sauerkraut und Tomaten-Paprika-Paste in Fässern und Gläsern ein. Die Früchte des Quittenbaums füllten ihr Häuschen mit dem herben Duft des Oktobers und milde schimmerndem Glanz, so als
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