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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Leben, und würde noch mehr leiden, hm?«
    Â»Das kann gut sein«, sagte sie.
    Â»Und jetzt sind wir wieder reich, nicht?«
    Sein ganzes Gesicht versank leuchtend in seinem Lächeln, seine Augen wurden schneidend blau wie ein tiefer Bergsee. »Dann kann ich mir ja einen Rollstuhl und Krücken kaufen, und dir kauf ich deinen Flügel zurück. Glaubst du mir das?«
    Â»Aber ja«, sagte sie.
    Â»Das müssen wir feiern!« Er verschluckte sich vor Aufregung, oder vor Entkräftung. »Das müssen wir unbedingt feiern. Mach uns einen Tee und hol diesen Metaxa, den mein Vetter mir da geschenkt hat.«
    Sonja wischte sich die Augen ab und schlurfte in die Küche. Als sie mit den zwei dampfenden Tassen auf dem Tablett zurückkehrte, lag auf Georgis Gesicht immer noch sein Lächeln, aber er lächelte es nicht mehr selbst. Sein Kopf war zur Seite gefallen, seine Augen schauten gleichsam nach innen, versunken in ihrer tiefen Bläue. Sonja beugte sich vor und schloss sie.
    Nun blieb ihr nur noch, die drei Spiegel mit Laken abzuhängen, damit seine Seele sich nicht in ihrem trügerischen Schimmer verirren konnte, und die Wanduhr anzuhalten. Als das Pendel so reglos herabhing, verfing sich ein einzelner Sonnenstrahl darin, und für einen Moment sah es aus wie das Henkersbeil der Stunden. Vulnerant omnes, ultima necat – Alle verwunden, die letzte tötet.
19
    Die Blätter gaben dem letzten warmen Licht des Jahres ein farbiges Kleid. Auf dem Friedhof roch es unverändert nach humusreicher Erde, fauligen Blumen und Vergänglichkeit, die sich ihrem Los ergeben hatte. Im ungelüfteten Bauch der Kirche war es schummrig, die dünnen Kerzen in den kranzförmigen Kerzenständern bogen sich in der Wärme wie müde Halme und tropften ihre Wachstränen still und stumm auf den Boden.
    Sie waren nur zu dritt: ihr Mann, der im offenen, aluminiumumwickelten Lattensarg lag mit dem schiefen, misstrauischen Lächeln dessen, der noch nicht so recht glauben mochte, dass er erlöst war; Assen Weltschev – und sie, Sonja. Sie hatte Assen telefonisch über den Tod ihres Mannes informiert, und er war zur Beerdigung erschienen mit einem Strauß der gleichen weißen Callas, die er bei seinem Besuch vor zehn Tagen mitgebracht hatte. Sie trug jenes schwarze Samtkleid aus ihrer Jugend, das ihr nun, im Alter von über siebzig, wieder passte wie angegossen. Ihre Augen waren trocken, ihr Herz müde, ihr Kopf seltsam leer. Der Talar des Geistlichen, eines Mannes mit dem verschlagenen Blick eines Judas, war ausgebleicht und mehrfach gestopft; er sah zu, diese erbärmliche Beerdigung, die ihm außer der Standardgebühr und einer Flasche Wein finanziell nichts einbrachte, so schnell wie möglich herunterzuhaspeln. In seinen Augen mussten Assen und Sonja wie ein Ehepaar erscheinen, die einen entfernten Verwandten zu Grabe trugen.
    Nach der Trauerfeier kamen zwei verschwitzte, nach Knoblauch riechende Totengräber, um den Sarg mit den sterblichen Überresten Georgi Pantov Weltschevs zu schließen und auf die Ladefläche des Elektrowägelchens zu hieven, dessen Räder sich durch den Kiesweg knirschend den Weg zur letzten Ruhestätte bahnten. In und zwischen den Bäumen schienen Eichhörnchen und Lichtreflexe Hasch mich! zu spielen. Der Friedhofsweg war verdreckt. Vandalen hatten die Messingbalustraden heraus- und die Buchstaben von den Grabsteinen abgerissen, um sie beim nächsten Buntmetallhändler zu verscherbeln. Die Bänke und Leuchten am Weg waren ebenfalls aus der Verankerung gerissen. So flößte diese letzte Ruhestätte keine Andachtsstimmung ein, sondern nur klammes Unbehagen und Ekel vor dem Tod.
    Am verwitterten Grab ihres Vaters kam der kleine Trauerzug zum Stehen, denn hier sollte ihr verstorbener Ehemann beigesetzt werden. Mit ihren ionischen Säulen und dem Giebelfries sah das Grabmal aus wie ein griechischer Tempel, nur dass obenauf ein einsamer Engel mit ausgebreiteten Flügeln, betend zusammengelegten Händen und gen Himmel gerichteten Augen stand. Sonja bemerkte Assens wortlose Erschütterung. Vermutlich war auch er sprachlos vor Beschämung über die Diskrepanz zwischen dem, was er selbst damals als Agent seines Bestattungsunternehmers den Toromanovs verkauft hatte, und dem, was davon geblieben war in dieser verwahrlosten Umgebung.
    Immerhin hatte diese düstere Grabstätte alle Veränderungen der Zeit

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