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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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gerade eingeseift.
    Â»Wonach ist Ihnen jetzt, Herr Weltschev?«
    Â»Ich hab einen Mordshunger«, antwortete Christo.
    Â»Prima, ich hab einen Tisch im Panorama-Restaurant des Japanischen Hotels reserviert, aber … diesmal übernehmen Sie die Rechnung!«
8
    Drei Monate später bekam er einen Brief, doch nicht ins Büro, sondern nach Hause, in die alte Wohnung seiner Eltern und Großeltern auf der Iwan-Schischman-Straße hinter der Kirche Siebenheiligen, in der er nach wie vor lebte. Die Briefkästen aller Bewohner befanden sich zwischen Hauseingang und Treppenabsatz und waren arg demoliert. An manchen Briefkästen war das Schloss aufgebrochen, an seinem war das Türchen aufgebogen. Geschaffen, um die Privatsphäre der Menschen zu schützen, hatten diese in mehreren Reihen aufgehängten Postkästen im Vandalismus der Wende-Jahre ihre Zweckbestimmung fast vollkommen eingebüßt. Der Briefumschlag war so alt, dass das Papier schon ganz angelaufen war. In der linken Ecke war der Schriftzug »1300 Jahre bulgarischer Staat« aufgedruckt, was bedeutete, dass er 1981 oder früher hergestellt worden sein musste; darüber eine Strichzeichnung der mittelalterlichen Burgfestung von Weliko Tarnowo. Der Briefbogen im Inneren aber war feinstes, gestrichenes Werkdruckpapier, das nach einem Moschusparfüm roch, und enthielt einen kurzen Brief, von dem Christo nicht wusste, wie er ihn einschätzen sollte:
    Â 
    Sehr verehrter Herr Weltschev,
    zu meiner nicht geringen Überraschung werden Sie sehr viel besser als erwartet mit der Herausforderung fertig, reich zu sein. Ich verfolge Ihre Entwicklung und Ihre Geschäftserfolge aus nächster Nähe und freue mich für Sie, aber auch für Bulgarien, denn es sind Menschen wie Sie, die unserem gepeinigten Vaterland eine wahre Zukunft geben. Bitte nehmen Sie meine Glückwünsche entgegen sowie meine Bitte, 20% (in Worten: zwanzig Prozent) des beträchtlichen Gewinns, den Sie bei der vollkommen legalen Ausfuhr von Erdöl zur Deckung des Bedarfs unserer Botschaften im ehemaligen Jugoslawien gemacht haben, auf die nachstehenden Konten zu überweisen.
    (Folgt eine lange Liste Bankkonten von Offshore-Firmen mit Sitz von Liechtenstein bis Ozeanien.)
    Dieser Bitte müssen Sie gemäß unserer ausdrücklichen Absprache nachkommen, wie sie in dem zwischen uns abgeschlossenen Vertrag niedergelegt ist!
    Frohe Weihnachten und einen guten Jahresabschluss! Für das neue Jahr wünsche ich Ihnen Gesundheit, seelisches Wohlbefinden und geistige Regsamkeit.
    Immer der Ihre
    General a.D. Iwan Grigorov
    Â 
    Erheitert lachte Christo auf, zerknüllte das Blatt und warf es in den Mülleimer. Später, als er sich in der Küche einen Whisky eingoss, kam er ins Grübeln, fischte es wieder aus dem Abfall heraus und glättete es auf dem Couchtisch im Wohnzimmer. Er hatte doch gar keinen Vertrag mit dem General unterschrieben?! Es gab noch nicht einmal eine mündliche Absprache, zwanzig Prozent vom Gewinn eines jeden erfolgreichen Geschäfts zu überweisen, geschweige denn auf die Konten solch dubioser Briefkastenfirmen. Die Eiswürfel klackerten bedrohlich in seinem Glas. Er nahm sein Adressheftchen, blätterte darin, und schließlich fand er sie, die Geheimnummer, die Oberstleutnant Petrov ihm bei ihrer letzten Begegnung in der konspirativen Wohnung auf der Biglastraße gegeben hatte. Er wählte. Trotz der vorgerückten Stunde wurde am anderen Ende der Leitung schon nach dem zweiten Klingeln abgehoben.
    Â»Petrov, ja bitte?«
    Christo war so überrascht, dass er unsicher wurde.
    Â»Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber …«
    Â»Oh, Herr Weltschev, womit kann ich Ihnen dienen?«
    Christo skizzierte ihm mit einigen Worten die Sache mit dem Brief, den er bekommen hatte, und der ihm doch »ungewöhnlich und verwirrend« vorkäme.
    Â»Ja, der General liebt es, zu scherzen«, sagte sein früherer Ansprechpartner für Denunziationen aller Art mit finsterem Ton.
    Â»Und was raten Sie mir jetzt zu tun?«
    Â»An Ihrer Stelle würde ich die Anweisung sofort ausführen. Der General liebt es nicht, zu scherzen.«
    Zwei Wochen später, an Neujahr, klingelte sein Mobiltelefon. Diese kleinen, schnurlosen Geräte waren gerade in Umlauf gekommen und machten es möglich, dass man – das Militär hatte einige seiner Frequenzen an den Mobilfunkoperator abgegeben

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