Seelenasche
â fast überall in Bulgarien erreichbar war und sich seinerseits melden konnte. Christo besaà zwei solcher Mobiltelefone. Die Nummer des einen kannten die Angestellten von Petroleum International, einige Banken und die wichtigsten Geschäftsleute seines Kalibers; die Nummer des zweiten aber war geheim, und nur seine Mutter, Dessislava und â Eduard Toschev kannten sie.
»Herrrr Weltschev«, hörte er die Stimme General Grigorovs auffällig sanft-beschwingt, »wir haben Ihre Sendung erhalten und möchten uns für Ihre Korrektheit bedanken.«
»Immer zu Ihren Diensten«, sagte Christo, aber der General hatte die Leitung bereits unterbrochen.
Da klingelte überraschend das zweite Telefon mit der Nummer, die nur besagte drei Personen kannten. Seine Mutter schlief aber um diese Zeit, Dessislava war bei einer Aufführung des Theaters hinter dem Kanal, und Eduard Toschev war noch nicht von seiner Geschäftsreise nach Russland zurück. Vermutlich hatte sich jemand verwählt. Er hob ab.
»Ach, Herr Weltschev, Sie sind es noch einmal?« Diesmal lag in der forcierten Lebendigkeit der Stimme des Generals unverkennbare, gefährliche Ironie. »Oh, diese Verkalkung! Ich werde wohl langsam schusselig. Wollte mich bei jemand ganz anderem melden, und habe aus Versehen dieselbe Nummer noch einmal gewählt. Entschuldigen Sie vielmals!«
9
Schon im Frühjahr war Simeon ausgezogen und hatte seinen Geruch nach Bühne, nach Boheme und nach Enthemmung gleich mitgenommen. Er war gegangen mit seiner ständigen Geldknappheit und seiner Alkoholfahne, seinen ausgeleierten Pullovern und seinen T-Shirts, in denen er sommers aussah wie ein braungebrannter Engel, und mit seinen Angewohnheiten wie etwa der, stundenlang die Toilette zu blockieren, weil er dort seine Rollen lernte. Er war fort mitsamt seiner Hyperempfindlichkeit, seiner Zerstreutheit in kleinen Alltagsdingen und seiner konzentrierten Intensität in den groÃen Theaterdingen. Mitgenommen hatte er auch sein Mitgefühl und seine GroÃzügigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Randfiguren, ganz gleich, ob Mensch oder Tier, Rentner oder Kind, Hund oder Katze, und seinen unversöhnlichen Hass auf die Mächtigen, die sich â während das von ihnen regierte Volk hungerte â an die Fleischtöpfe klammerten. Mit ihm verschwunden war die Erschöpfung nach einer Vorstellung, die sich wie ein Nebel um ihn legte und ihn wie ein Kind aussehen lieÃ, das nicht wahrhaben wollte, dass man vom Erleben all der aufregenden Wunder der Welt so müde sein konnte, dass man eigentlich schlafen gehen sollte ⦠wenn man bloà schlafen könnte!
Mit ihm war aber auch ihre Müdigkeit gewichen! Unablässig hatte sie seinen Charme und seine Empfindlichkeit um sich herum ertragen müssen, die Wirkungen seines guten Aussehens und seiner Berühmtheit, die zahllosen ÃuÃerungen seiner Liebe zu ihr, seine zermürbende Aufmerksamkeit und ritterliche Rücksichtnahme, und über allem hing das Damoklesschwert, dass er nicht nur ohne ihre Zuwendung, sondern ohne sie nicht leben konnte. Die letzten Jahre waren ein einziger, Tag für Tag sich wiederholender Akt der Selbstvergewaltigung gewesen und â was noch schlimmer war â Nacht für Nacht. Dessislava war seine Ehefrau, seine bis zur Entsagung treue Ehefrau, indem sie verstandesmäÃig Ja zu ihm gesagt hatte; aber nie, nicht einen einzigen Moment lang, hatte sie sich ihm hingegeben, war wirklich seine Geliebte geworden. Mit all seiner Potenz und Unersättlichkeit, seiner kraftmeierischen Virilität vermochte er es nicht, sie zu erwecken. Ihr Körper und ihre Seele blieben kalt, eingesponnen wie das Kind in der Zauberwelt, schlafend wie Dornröschen im Schloss. Das hieà aber nicht, dass sie Simeon abstoÃend fand. Sein sie verfolgender Liebeshunger erfüllte sie nicht im Mindesten mit Ekel, sondern nur mit einer pedantischen Gleichgültigkeit, die im Toben seiner Leidenschaft nur dachte, wie schön kühl und glatt das Laken doch vorher gewesen war, und dem beklemmenden Schuldgefühl, dass sie ⦠jemand anderen betrog, dass sie also unsittlich war, geradezu amoralisch, weil sie mit diesem fremden Mann schlief ,mit dem sie verheiratet war.
Sie bat Maja, ihr seine neue Adresse zu geben und Simeon vorzuwarnen, dass sie ihn zu einer ihm angenehmen Zeit besuchen kommen wolle. Simeon lieà wissen, das es ihm
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