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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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machten die Nacht verrückt, der Geruch nach Urin wurde unerträglich in der feuchten Luft.
    Â»Auch auf meinem Studienabschlussball, zu dem ich sie eingeladen hatte, wiederholte sie, als wär’s ein toller Running Gag: ›Das Schönste an dir sind deine Haare!‹ Als sie dann auch noch diesen Komsomolzenmuffel heiratete, diesen kleinen schmierigen Beamtenarsch, machte ich kurzen Prozess und rasierte mir die schönen Haare ratzekahl ab. Und der, statt sie in ihrer unendlichen Herrlichkeit zu besingen und mit der Taiga zu vergleichen, wo er die Papiere für seine miese kleine Arbeiterkolonie machte, betrog sie für eine Kiste Wodka mit einer aus der Form gegangenen russischen Köchin. Sie haben ja keine Ahnung, was für ein beschränkter Typ das ist. Unansehnlich, unintelligent und langweilig. Ich hab ihn neulich bei mir eingestellt als Gaststättenleiter in einem meiner Restaurants. Sie müssen mal sehen, wie dieses unterwürfige Nichts mich empfängt und wieder hinausgeleitet – als wäre ich der Sonnenkönig. Er steht selbst am Grill. Vor einer Woche kam ich mit Gästen zu ihm, da hab ich mir den Spaß erlaubt, den Laden zu schließen, und ihm befohlen, sich vor allen nackt auszuziehen, sich nur ein Schürzchen vorzubinden und uns so zu bedienen. Und das hat er gemacht! Na ja, er ist Alkoholiker und braucht seine zwei Flaschen Wodka am Tag … Können Sie sich das vorstellen?«
    Christo erschauerte. Er rang nach Luft, weil er sich so schämte, aber nicht wegen Toschev, sondern wegen sich selbst.
    Â»Nach der Wende wurde ich reich. Es spielt hier keine Rolle, wie und womit.« Er hob wieder das Nachtfernglas an die Augen, um sie zu verdecken. »Da habe ich meine Jungs losgeschickt, sie zu suchen. Sie haben sie vor ihrem Haus erwischt, sie mit Chloroform betäubt und in meinen Palast oben in Boyana verschleppt. Sie erwachte auf dem Sofa im Wohnzimmer, alles wie bei Sheherazade und Tausendundeiner Nacht – und weißt du, was sie mir da sagte? ›Eddi, Eddi, ich hab ja geahnt, dass du mich hasst, aber so sehr …‹ Ich wär fast umgefallen, wenn ich nicht sofort einen Haselnussdrilling gegessen hätte. Dann hab ich sie vergewaltigt, so, wie sie dalag auf dem teuren Sofa, das meinem Hass aber auch nicht standgehalten hat. Mariana brach in Tränen aus und sagte, sie könne mich nicht ertragen, und natürlich kam auch wieder: Das Schönste an mir sei mein Haar gewesen. Sie wolle lieber sterben als in meinem Anwesen bleiben mit dem japanischen Garten und dem Hallenbad im Keller, denn sie liebe jemand anderen. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?«
    Â»Nein«, erwiderte Christo verzweifelt, »so etwas habe ich noch nicht erlebt.«
    Â»Da habe ich ihr gesagt, wenn sie nicht bliebe, würde ich ihr das Leben zur Hölle machen, sie auf die Straße schicken mit dem Handtäschchen, und auch ihrem Sohn Steine in den Weg legen, und was den missratenen Kerl beträfe, den sie liebe, den würde ich von meinen starken Jungs binnen dreißig Minuten reif fürs Altersheim machen lassen.«
    Mit geübter Geste strich Eduard Toschev sich über den Kopf. Es knisterte leicht. Er griff nach der Thermoskanne und schmiss sie durch eine der letzten heil gebliebenen Fensterscheiben der Baracke. Sie verschwand im wilden Gezirpe der Grillen.
    Â»Tja, Märchen aus Tausendundeiner Nacht …«, wiederholte Toschev, als glaube er selbst, was er sagte. »Ich gebe ihr Ruhe und Sicherheit, alle Annehmlichkeiten, Zukunft für ihren Sohn, schenke ihr auch mich, alles, mehr als alles, was ich habe. Was meinen Sie, habe ich eine Chance?«
    Â»Das frage ich mich auch«, erwiderte Christo, von Kopf bis Fuß zitternd, »bei meiner eigenen Geschichte. Wenn ich das nur wüsste …«
    Â»Wie – was fragen denn Sie sich?«
    Â»Na, was Sie sich auch fragen: ob ich eine Chance habe!«
7
    Das Schweigen, das so unbehaglich und drückend zwischen ihnen lag, war gleichsam in einem geheimen, unausgesprochenen Wort enthalten, das die ganze Liebesbeichte Toschevs ihres Sinns beraubte und sie ein für alle Mal trennte. Sie lauschten in die Stille hinein. Die Grillen zirpten sich mit unbekümmertem Flügelreiben in Raserei. Man hatte das Gefühl, sie versetzten die Dunkelheit in Bewegung und die ganze Nacht ins Beben einer unaufhörlichen Metamorphose. Über dem Hügel ging der Mond, beinahe

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