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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Samstag nach der letzten Vorstellung der Theatersaison, die immer Ende Juni schloss, recht sei. Das würde nach zehn Uhr abends sein. Darin erblickte Dessislava nicht so sehr seine verbitterte Hoffnung, sie doch noch zu erobern, sondern seinen Wunsch, sie zu demütigen, indem er sie genauso empfing wie jene Verehrerinnen, die ihm statt Sträußen sich selbst zuwarfen in der letzten Blüte ihrer vorgerückten Jugend. Ohne Zögern nahm sie an. Simeon lebte jetzt im Stadtteil Isgrev, fünf Minuten von der ehemaligen Botschaft der Sowjetunion und dem Grab des Weisheitslehrers Peter Denov entfernt. Seine Bude war so spartanisch eingerichtet wie die Mansarde, in der er als Student gelebt hatte. Zwei nackte, von Fliegenschissen gesprenkelte Glühbirnen warfen ihr Licht auf die mit Film- und Theaterplakaten tapezierten Wände. Drinnen war es eng und heiß, roch nach glühenden Dachziegeln und Sommer in der Stadt. Das Bett war eine Pritsche auf vier Holzbeinen. Es gab auch so etwas Wackliges, das an einen Schreibtisch erinnerte. Darauf lagen Fotoabzüge von Simeon während der Demonstrationen der UDK, aber auch ein nur nachlässig bedecktes Foto von Pepa Koitscheva, auf dem sie sich räkelte wie Goyas Nackte Maja und schaute mit dem überlegenen Blick der großen Rassekatze. In der Ecke stand eine in der Mitte durchgesägte Kleiderablage, der die Türen fehlten, auf dem Boden kullerten leere Flaschen, daneben, einem UFO gleich, saß ein Porzellannachttopf aus der fernen Welt einer anderen Zeit. Von der Wohnung unten drang klassische Musik herauf.
    Simeon war sichtlich müde von der Vorstellung. Seine Schultern hingen herab, seine Augen blickten leer, was ihnen einen traurigen Ausdruck gab. Von ihm ging jene Melancholie aus, in die der Mensch aus Übersättigung oder nach einem Höhepunkt verfällt, und daran erkannte Dessislava, dass die Vorstellung mit vielen Vorhängen und Verbeugungen bedacht worden war. Wie er so auf seiner Pritsche dahockte, war er die Verkörperung des Erfolgs, der Einsamkeit des Siegers, der plötzlichen Leere nach großer Fülle, des Schmerzes des Triumphs.
    Er lächelte matt und öffnete die Flasche russischen Wodkas, die sie mitgebracht hatte, nahm sich ein Wasserglas, füllte es zur Hälfte und trank es pur fast ganz aus. Dann seufzte er erleichtert wie ein Alkoholiker, der nach langer verzweifelter Suche endlich eine offene Kneipe gefunden hatte, wischte sich den Mund ab und klopfte mit bäuerlicher Grobheit auf den Platz neben sich.
    Â»Und, kommst du?«, fragte er heiser.
    Â»Nein«, antwortete sie.
    Â»Wusst’ ich’s doch!« Er leerte sein Glas, wischte sich wieder den Mund ab.
    Â»Du, Sim, das mit der Scheidung meine ich wirklich ernst«, sagte Dessislava so begütigend wie möglich. »Wir müssen uns an diesen Gedanken gewöhnen!«
    Â»Woran gewöhnen?«
    Â»Na, an unsere Trennung!«
    Â»Wie an Zahnschmerzen und zu enge Schuhe, ha? An ’ne echte Trennung kann man sich nicht gewöhnen.«
    Â»Die Zeit …«
    Â»Oh, klar: Die Zeit heilt Wunden«, sagte er ironisch und lachte fahrig, aber die Ironie war gegen ihn selbst gerichtet. »Trinkst du einen Schluck mit?«
    Â»Sehr gern!«
    Während er ihr eine spärliche Damenportion eingoss, zitterte seine Hand. Das war ein schlechtes Zeichen, ein Zeichen, dass er zutiefst verletzt war. Dessislava hatte seit langem die Befürchtung, dass er zum Trinker wurde. Noch rettete ihn das Theater, sein voller Terminkalender, seine Lust, auf der Bühne zu stehen und alles zu geben.
    Â»Warum bist du dann gekommen?«
    Â»Ich wollte dich um etwas bitten. Um etwas Wichtiges, etwas, das für mich große Bedeutung hat.«
    Â»Wusst’ ich’s doch! Und was so Bedeutendes kann ich für dich tun?«
    Â»Den Hamlet spielen.« Dessislava biss sich auf die Lippen. »Du weißt doch – unseren Hamlet ! Den, den Theo Sotirov zerpflückt hat.«
    Simeon lachte kurz und künstlich auf. Nein, diese Heiterkeit spielte er nicht gut. Ohne es zu wollen, hatte Dessislava ihn schon wieder verletzt, ihm jene letzte, schwache Hoffnung genommen, dass sie doch noch zusammen sein würden, und ihm stattdessen egoistisch vorgeschlagen, er möge ihr doch helfen, ihren eigenen Traum zu verwirklichen. Das war wirklich ein blödes Zusammentreffen unglücklicher Umstände, aber was sollte sie machen?
    Â»Ist

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