Seelenasche
Diebstähle am helllichten Tag hörten nicht auf, und die Gewalt hörte nicht auf, die Krums Leben und Lebenszeit geprägt hatte, und die er unter den Menschen ausgeteilt hatte, als brächte er ihnen, was sie wahrhaft nährte, ihr tägliches Brot. So hatte er versucht, ihren Hunger nach Gerechtigkeit zu stillen, und mit der Peitsche hatte er ihnen die Tränen aus den Augen geschlagen. Nein, es geschah so absolut nichts von Bedeutung, dass eben das schon wieder an ein Wunder grenzte.
Es blieb das einzige! Widin hatte ihn schlicht und einfach abgeschrieben, ihn vergessen. Weder war sein heroisch-idealistisches Auftreten ins Gedächtnis der Menschen eingegangen, noch hatte sein gewaltsamer Tod eine Welle des neugierigen Nachbohrens ausgelöst, denn Krum war kein Mysterium und kein Gegenstand kultischer Verehrung, und er war kein unausdeutbares Vorzeichen. Er war einfach nur der Schrecken der Gegend gewesen, der Mann, der mit seinem knatternden DKW-Motorrad, seiner ledernen Landvermesserjacke und seinen Kavalleristenstiefeln die Fabrikanten der Stadt und die Bauern im Landbezirk Widin gewaltsam enteignet und danach als Filmvorführer propagandistisch agitiert hatte. Dieser Gerechte vor dem sozialistischen Herrn also, vor dem selbst die mächtigen Parteisekretäre gezittert hatten, weil er nicht nur â wie sie â jederzeit bereit gewesen war, die anderen zu opfern, sondern auch sich selbst, wurde nun nicht etwa zu einem Heiligen, sondern â zu Staub, zu nichts! Selbst die Gewaltsamkeit seines Todes gab den Menschen kein Rätsel auf, war es doch klar, wer und warum ihn aus dem Weg geräumt hatte; sie hatten sich eher gewundert, dass dieser Mann überhaupt noch gelebt hatte. Nun also war er abgezogen wie ein verheerendes Unwetter, das über das Land gekommen und es verwüstet hatte; doch die Zeit hatte die Spuren der Zerstörung ausgelöscht, und so war auch Krum ins Nichtsein übergegangen, als wäre er nie gewesen.
DRITTES BUCH
Erstes Kapitel
1
Sosehr Freunde und Bekannte sie auch beschworen, Vernunft anzunehmen und diese fünfzehntausend Dollar sausenzulassen, die sie durch ihre Leichtgläubigkeit und ihre Gier nach leichtem und schnellem Gewinn bei Lucky Strike & Co. angelegt und prompt verloren hatte â Emilia blieb stur. »Es handelt sich ja nicht nur um mein Geld«, antwortete sie denen, die ihr anrieten, den Schaden nicht noch zu vergröÃern. »Mag ich selbst mich verhalten haben wie ein Kind, das groÃe Sprünge machen will, noch bevor es laufen gelernt hat â das ist meine Privatsache und mein Pech; ich habe aber auch ein Dutzend andere Menschen, die mir vertrauten, mit hineingerissen mit allem, was sie sich für ihr Alter auf die Seite gelegt hatten. Mag sein, dass Lug und Betrug inzwischen noch gröÃer geworden sind in diesem pseudodemokratischen Vandalenrevier; aber irgendwer muss doch einmal die Probe aufs Exempel machen und dafür kämpfen, dass Betrüger mit aller Härte des Gesetzes bestraft werden.«
Sie meldete sich bei Rechtsanwalt Christolkov, den Viktoria Simeonova ihr empfohlen hatte, machte einen Termin aus und ging in seine Kanzlei auf der Graf-Ignatiev-StraÃe. Es begann ein Justizdrama, das in seiner Scheinhaftigkeit und Absurdität mal an die berühmt-berüchtigte Dreyfus-Affäre denken lieÃ, mal an die alchimistischen Scharaden bei der Rechtsprechung der Zigeunerbarone.
Christolkov stellte sich als beleibtes, aber flinkes Männchen von erlesenen Manieren heraus, das ihr kaum bis zur Schulter reichte und einem mit seiner Liebenswürdigkeit gehörig auf die Nerven gehen konnte, zumal er dabei wie auf Knopfdruck immer das süÃliche Lächeln des Betrügers aufsetzte. Er hatte das aufgedunsene Gesicht und die gläsernen Augen des Alkoholikers, aber auch den Ruf eines Mannes, der bei der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich war, wenn es galt, einen Prozess zu gewinnen. Der Erfolg gab ihm recht. Während er sprach, griff er sich immer wieder ans rechte Ohr. Sie wusste nicht, warum, aber Emilia flöÃte dieser Tick Vertrauen und Hoffnung ein. Christolkov hatte seine Kanzlei in einem kürzlich renovierten Appartement eingerichtet. Das Wohnzimmer hatte er zum Wartezimmer umfunktioniert, in dem aber auch der Schreibtisch seiner Sekretärin stand. Diese Dame war mit sicherlich nicht weniger als zwei Kilogramm Gold behangen. Sein eigenes Büro befand sich im
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