Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
zufrieden, machte Koitschev aber nicht die Freude, es zu zeigen.
    Schließlich war auch diese Trauerrede Vergangenheit. Der ehemalige Lehrer und Parteisekretär seufzte erleichtert, schneuzte sich in sein großes Stofftaschentuch und tupfte sich anschließend damit die Augen ab. Alle Anwesenden zitterten. Auch die beiden Zigeuner, die endlich den Sarg ins ausgeschachtete Grab senken und Feierabend machen wollten. In diesem Moment hielt ein metallic glänzender Geländewagen auf dem Friedhofsweg hinter ihnen. Zwei Muskelpakete mit rasierten Schädeln, schwarzen Sonnenbrillen und bodenlangen schwarzen Mänteln sprangen heraus, öffneten die Heckklappe und hievten einen gewaltigen, fast peinlich überdimensionierten Kranz aus ihrem Dienstgefährt. Der Kranz war komplett aus weißen Callas geflochten, aber in dieser sibirischen Kälte verströmten auch die keinen Duft. Zu beiden Seiten flatterten feine Schleifenbänder aus Seide. Auf dem roten stand: »Für immer in unseren Herzen«. Auf dem schwarzen prangte in Goldbuchstaben der Name des edlen Spenders: »Pawel Tscholev«. Krum Krumov, der Sohn des Verstorbenen, fuhr zusammen, als er diese protzige Trauerbekundung seines ehemaligen Mitschülers sah, mehr Warnung an die Hinterbliebenen als Verbeugung vor dem Toten. Die Muskelmänner in Schwarz lehnten den Kranz feierlich an die Engelsstatuette, gaben Newena und Krum Krumov wohlerzogen die Hand und brausten gleich darauf mit ihrem geräumigen Geländewagen über den schmalen Friedhofsweg davon, hinein in den menschenleeren Tag.
    Da machten auch sie sich auf den Heimweg. Die ausgehobene Erde war schon gefroren, sodass die bettelarmen Totengräber sie mit Hacke und Spaten losschlagen mussten, um das Grab zuzuschütten. Fluchend, dass der Tote ausgerechnet bei diesem Wetter verstorben war und die Hinterbliebenen ihnen nicht das geringste Trinkgeld für ihre Mühen gegeben hatten, machten sie sich ans Werk. Der eine drehte vor Wut das Transistorradio bis zum Anschlag auf, der andere stellte sich breitbeinig vor das Grab und pinkelte hinein.
    Als sie, starr vor Kälte, verwaist und verloren in ihrer Trauer, zu Hause angekommen waren, erhitzte Newena den Rakija auf dem Küchenherd und schenkte sich und ihrem Sohn ein. Sie hatten es irgendwie hinbekommen, sich Krum Marijkins Leben zu teilen, seine schwer zu fassende treue Verbundenheit; nun blieb ihnen nur, sich in seine ebenso schwer zu fassende Abwesenheit zu teilen.
    Â»Dein Vater war der beste Mensch, den du dir nur vorstellen kannst. Er wollte, dass es allen Menschen gutgeht, und dass sie glücklich werden; aber weil er keine Geduld hatte und es zwingen wollte, hat er viel Leid verursacht. Wie soll ich nun ohne dieses Ungeheuer leben?«
    In ihrer beider entsetztes Schweigen hinein hackte der klobige Wecker, den die Polizisten in Krums Bauwagen auf dem Werksgelände gefunden und Newena nach der Untersuchung auf Spuren und Fingerabdrücke zurückgegeben hatten, sein rasselndes Ticktack.
    Â»Im Namen deines Vaters seligen Angedenkens möchte ich, dass du mir etwas versprichst, auf Ehrenwort versprichst!«
    Krum hob den Kopf aus seiner Trauer.
    Â»Was meinst du?«
    Â»Versprich mir, dass du dich nicht darauf versteifst, herumzuschnüffeln und um jeden Preis den Mörder deines Vaters, die Schuldigen an seinem Tod zu finden. Weißt du, dieser Kranz …«
    Â»Sehr gut weiß ich«, erwiderte Krum Krumov verhalten. »Sei unbesorgt, ich werde nicht mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Ich habe da etwas weitaus Wichtigeres zu erledigen!«
19
    Nach dem Mord an Krum Marijkin geschah weiter nichts Außergewöhnliches, nichts, was die Phantasie beflügelt hätte. Die Donau blieb nicht stehen, es gab keinen Sommereinbruch im Januar, und am Himmel erschien kein Komet, wie seine Frau Newena es sich vorgestellt hatte. Nicht einmal ein noch so kleines Erdbeben erschütterte das entvölkerte Widin, ein Erdstoß, der – wie der Verstorbene es einst getan hatte – die Menschen in Stadt und Umland aufrüttelte.
    Der tragische Tod Krum Marijkins hielt nichts und niemanden auf: nicht den Zusammenbruch des im Sozialismus Aufgebauten, nicht den Verfall des Glaubens an die Zukunft, nicht die Wirtschaftsflüchtlinge, die im Westen Arbeit, Lohn und Brot suchten. Eine ganze Epoche bedeckte sich mit dem Unkraut der Sittenlosigkeit und des Stillstands. Die Betrügereien und

Weitere Kostenlose Bücher