Seelenasche
Moral.«
Christo rief den Kellner, der sich im Schatten des Restaurantgebäudes untergestellt hatte und Toschev und ihn von weitem mit gefälligem Halblächeln beobachtete. Er bat ihn, die Teller mit dem kaum angetasteten Hauptgericht abzutragen und ihnen den Kaffee zu bringen. Wenigstens der war hier wirklich gut, stark und aromatisch.
»Aber Sie haben mich ja noch gar nicht gefragt, warum ich Sie um diese Unterredung gebeten habe«, sagte Eduard Toschev in unverändert würdigem, ruhigem Ton.
»Dann hole ich das hiermit schleunigst nach!«
»Ich wollte Ihnen eine höchst attraktive, dabei ungefährliche und teuflisch einträgliche Kooperation anbieten. Ich mag Sie, habe Vertrauen zu Ihnen, und dann â¦Â«, er unterbrach seinen Satz, um zu dem Kristallglas mit seinem edlen Obstbrand zu greifen, und trank den Rest in einem Zug aus, »⦠und dann hat mich Mariana auch darum gebeten. Und für meine Frau ⦠für meine Frau würde ich sogar über Leichen gehen.«
Christo zuckte bei den letzten Worten seines Gegenübers zusammen und wurde augenblicklich schweiÃnass unter den Achseln. Schauer überliefen ihn. Um die Fassung wiederzuerlangen, beschäftigte er sich ausgiebig mit dem Anzünden einer Zigarre.
»Wie ich bereits sagte, unterstütze ich Regierung und Opposition, könnte es also in die Wege leiten, dass wir uns unseren guten alten Stahlriesen in Kremikovzi teilen.«
»Kremikovzi?« Christo verschluckte sich vor Ãberraschung am Rauch seiner Zigarre. »Aber das Kombinat liegt doch in den letzten Zügen?«
»Gott bewahre, ich will Sie ja auch nicht dazu überreden, das Werk zu retten! Nein, ich wollte Ihnen anbieten, dass Sie sozusagen am Eingang dieser gigantischen Rostlaube stehen, auf die die Nation so stolz ist, und ich am Ausgang. Sie versorgen das Kombinat mit teuren Rohstoffen, schlechtem Koks und Eisenerz, und ich kaufe preiswert die fertige Produktion. Die Preisspannen werden gewaltig sein, und wir machen zu gleichen Teilen gehörig Reibach.«
»Aber diese Oper hat Iliev doch schon gesungen, und Sie wissen ja, wie er geendet hat. Vor seinen eigenen Geschäftsräumen erschossen â¦Â«
»Iliev mochte vielleicht ein schlauer Stratege gewesen sein, aber er war zu gierig und wollte alles fressen, was ihm vors Maul kam. Das hat ihn am Ende den Kopf gekostet.«
»Und warum glauben Sie, dass es uns besser ergehen wird als diesem Betrüger?«
»Weil wir nicht den Schlaumeier spielen werden, sondern den Geduldigen. Was er vor seinem Tod erreicht hat, werden wir auch erreichen; aber wir werden uns dafür doppelt so lange Zeit lassen. AuÃerdem sind wir ja zwei getrennte Firmen und werden für die Medien das Spielchen mit den zerstrittenen Hähnen geben, die um einen dicken Wurm streiten. So wird uns keiner was anhängen können.«
»Das ist doch illegal«, entfuhr es Christo unwillkürlich, »reine Abzocke auf Kosten des Staates.«
»Was reden Sie da von Staat, Herr Weltschev, von welchem Staat?« Eduard Toschevs Enttäuschung grenzte an physischen Abscheu. »Der Staat ist doch längst tot, eine Leiche, aber mit höchst aufwendiger Grabpflege. Und weil Sie anscheinend permanent das Gewissen zwickt, sage ich es Ihnen mal direkt ins Gesicht: Heutzutage ist die einzige wahre Moral, die alle anerkennen, der Erfolg. Was auch immer er tut, dem erfolgreichen Mensch gestehen die Leute immer besondere Würde zu, und sie halten ihn a priori für anständig und ehrbar.«
In diesem Moment klingelte Christos Mobiltelefon. Der Anruf kam aus dem alten, soliden, kürzlich privatisierten Sanatorium am FuÃe des Witoscha, in dem er seine Mutter untergebracht hatte. Die Stimme der anrufenden Frau war jung und hätte eigentlich ein bisschen Anteilnahme verraten müssen, klang aber einfach nur dümmlich und sorglos.
»Herr Weltschev«, begann die Stimme und machte eine Pause, um wenigstens den Eindruck zu erwecken, dass ihr das Folgende nicht ganz gleichgültig war, »wir müssen Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, dass vor zehn Minuten Ihre werte Frau Mutter verstorben ist, unser Beileid.«
Die Zigarre rutschte ihm aus der Hand, fiel auf die gestärkte Tischdecke und brannte ein Loch hinein. Eine ungeheure Leere dröhnte in seinen Schläfen. Dann kam der Schmerz, ein Schmerz zum Wahnsinnigwerden. Und schlieÃlich packte ihn die Wut: Er
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