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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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zumeist Frauen. Frauen, die mit dieser Arbeitsstelle ihre Familie ernährten, denn ihre Männer waren längst arbeitslos geworden.
    Schon als er den Priester großzügig für die Zeremonie bezahlte, spürte er das Kommen jener Euphorie, die dem Schreiben vorausging. Er trug der Köchin auf, ihm eine Kanne grünen Tee zu kochen, nahm den kleinen Humidor mit seinen teuren kubanischen Zigarren, trug dem Chef seiner Leibwache auf, dass niemand ihn stören sollte, schaltete seine beiden Mobiltelefone aus und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Die Klimaanlage pustete ihre künstliche Kühle in den Raum, doch Christo seufzte nur im Andrang der kreativen Euphorie und beugte sich über seinen Laptop.
    Als er seine Hände von der Tastatur hob, die Worte es irgendwie wieder geschafft hatten, den schreienden Wiederspruch von Kapelle und kompromissloser Entlassung der einhundertundfünfzig Arbeiterinnen zu versöhnen, dämmerte draußen schon der Abend. Der Himmel zögerte noch sternlos zwischen Tag und Nacht. Christo war so ausgelaugt, dass er nicht die Kraft besaß, das Geschriebene noch einmal durchzulesen. Er nahm sich eine Zigarre, goss sich zwei Fingerbreit Whisky ins Glas und stellte sich Dessislava vor, ihr stilles, ihr vernichtendes Lächeln. Würde sie die Metapher dieses Essays verstehen? Seine Cousine war eine scharfsinnige und blitzgescheite Frau, aber dabei naiv-moralisch. Sie kannte keine seelische Gespaltenheit und damit auch nicht die zermürbende Überforderung des Am-Leben-Seins.
    Was war das eigentlich für eine »samtene Revolution« gewesen, die ihn in ebendieses Leben geschleudert hatte, das er jetzt führte? Ja, es war einerseits ein gewaltfreier, unblutiger Umbruch zur Demokratie gewesen, sodass auch keine Revanchegelüste geweckt worden waren; auf der anderen Seite war aber keiner derer, die das vorherige Unrechtsregime gebildet hatten, bestraft worden. Wo aber keine gerechte Bestrafung der Täter unter dem unbestechlichen Auge Gottes vorgenommen wurde, dort konnten auch weder sie noch ihre Opfer, die Volksmassen, aus den begangenen – auch den eigenen – Fehlern lernen und sie bereuen. Nur wo bekannte Schuld war, war auch Vergebung.
    Er stand auf und zündete das Öllämpchen an, das er für einen Lev zwanzig in der Kirche Siebenheiligen gekauft hatte. Eine alte Frau hatte ihm gezeigt, wo er das Lampenöl einfüllen und wie er den Docht einstecken musste. Das Lämpchen rauchte, als lehne es seine kathartische Seelenreinigung ab, und die Flamme zuckte und flackerte wie ein Stemmeisen, das einen Stollen in die Dämmerung schlug.
11
    Der Wintertag war klirrend kalt, und obwohl es erst früher Nachmittag war, machte sich die Sonne schon ans Untergehen. Auf dem Friedhof war es still. Die Weiden hängten ihre Äste diskret über die Gräber, die Gedenksteine sahen in ihrer tumben Schwere und Unbeweglichkeit aus wie präpariert. Dieser Ort feierlicher Trauer, fetter Erde und ewiger Ruhe machte ihn immer ganz unruhig mit seiner Zweideutigkeit, lagen hier doch einerseits viele, viele Menschen, andererseits war alles tot und zum Verzweifeln menschenleer. Im Grunde, dachte Christo und hüllte sich fester in seinen Lodenmantel, glich so ein Friedhof ihm und seiner entzweiten Seele: Alles war lebendig und tot zugleich, es war und es war nicht. Auf den Grabsteinen stand der Name eines Menschen, der nicht mehr war. Ja, das Leben war kurz, aber wie es aussah, war auch der Tod nicht ewig, sondern starb ebenfalls eines Tages. Die drei schwarzen Limousinen krochen in hundert Meter Entfernung hinter ihm her. Er hatte seinen Bodyguards gesagt, er wolle hier ein wenig mit sich allein sein, und so folgten sie ihm in respektvoller Entfernung. Die gelben Rosen wogen schwer in seiner Hand. Die Zigeunerin im Kattunkleid mit der in der Kälte laufenden Nase, die sie ihm vor dem Eingang verkauft hatte, wollte ihren lachenden Augen nicht trauen, als sie das Trinkgeld sah, das er ihr ließ, und küsste ihm die Hand. Er hatte auch beim Direktor der Friedhofsverwaltung mit dem Trinkgeld nicht gespart, damit er eine Parzelle hinter der Kirche bekam. Da hinten tauchte schon das Grabmal auf, ein gewaltiger, unbearbeiteter Granitblock, den er von den Endmoränen des Witoscha hatte herschaffen lassen. Seine Mutter hätte ihn bestimmt gemocht mit seiner Schwere und schlichten Erhabenheit.
    Auf einmal zuckte er zusammen. Der Mann

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