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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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teilen, und das Geld, dieses gierige, nach Vermehrung schreiende Geld, unfähig, ihn mit der Hingabe an eine Frau zu teilen.
    Dessislava tauchte ihre Finger ins Schälchen mit dem Zitronenwasser, das sie neben den Meeresfrüchten bekommen hatte, trocknete sie an der Stoffserviette ab und suchte sichtlich nach möglichst wenig beleidigenden Worten.
    Â»Ich frage mich nur eines«, sagte sie schließlich, »du bist ein so reiner, anständiger und sensibler Mensch: Wie kannst du dich nur mit Geschäften befassen?«
    Auf diese hinterhältige Frage hatte er schon lange gewartet, und sich entsprechend eine Antwort zurechtgelegt.
    Â»Es macht mir einfach Spaß …«
    Â»Wirklich?«
    Â»Schau mal, du hast dein Theater, deine Bühne, die du ausleuchten, mit Schauspielern bestücken kannst, mit Worten und Aktionen, und dabei kannst du dich selbst einbringen. Und was hatte ich? Ich vegetierte so dahin in diesem dumpfen Ministerium, zwischen Klatsch an der Kaffeemaschine und Langeweile am Schreibtisch. Die Geschäftswelt ist dagegen eine spannende Schachpartie, in der es auf jeden Zug ankommt und du die Gegner direkt vor dir hast. Da musst du alles in die Waagschale werfen, Intelligenz, Wachsamkeit, Energie, darfst den Kopf nicht verlieren, nicht die Bodenhaftung, und du kannst gewinnen oder verlieren. Ein Freund hat mir mal gesagt …«
    Nun war er es, der voller Rührung zusah, dass ein Mensch noch mit Appetit Leckereien verspeisen konnte. Einen Moment lang verschlug es ihm die Sprache beim Zusehen, wie die Meeresfrüchte in Dessislavas Mund verschwanden.
    Â»Was hat dir dein Freund gesagt?«
    Â»Er meinte, reich sein, das sei keine Eigenschaft, sondern ein Beruf!«
    Den man erlernen konnte, wie sich herausstellte, denn Christo gewöhnte sich nicht nur sukzessive ans Geldhaben, die Annehmlichkeiten, die es verschaffte, die Arroganz und Überheblichkeit, die man sich mit ihm leisten konnte; dies waren nur Symptome zweier grundsätzlicher Dinge, die das Geld einem bescherte: persönliche Freiheit und Macht über andere. Und je mehr Geld man anhäufte, desto größer wurden sie. Aus diesem Grund auch der Drang, immer mehr Reichtum anzuhäufen, mehr, als man eigentlich brauchte. Der wachsende Reichtum hatte nun keinen praktischen Nutzen mehr, sondern ließ seinen Besitzer über alles menschliche Maß hinaus wachsen und Züge eines Gottes annehmen, der sich an die Regeln des menschlichen Miteinanders nicht zu halten brauchte. Es ging so weit, dass man die Naturgesetze herausforderte, kurz: Reichtum anhäufen, das war ein Versuch, unsterblich zu werden.
    Christo machte das Geldverdienen immer mehr Spaß, zumal er spürte, dass er Talent und Geschick dazu hatte. Sein privates Wirtschaftswunder stellte sein Leben auf den Kopf, trieb einen Keil zwischen seine Vergangenheit und sein Heute, zumal alles rasend schnell gegangen war, in nur wenigen Jahren, wie ein Rausch. Dieser war umso größer, als er merkte, dass er sich mit Geld freikaufen, seine früheren Demütigungen vergessen und seine fatale innere Zerrissenheit überwinden konnte, weil er jetzt nicht mehr nur hin- und hergeworfen war zwischen den beiden Extremen seines Wesens, sondern etwas Drittes hinzugekommen war, das über die beiden hinausging. In dieser Aufhebung der Gegensätze lag etwas Alchimistisches, das, je weiter der Reichtum einen von den Sphären des pragmatischen Nutzens und der materiellen Notwendigkeiten entfernte, in die Sphären reiner Geistigkeit hinaufführte. Doch sosehr Christo in seinem neuen Leben, seinem neuen Beruf auch aufging – wirklich glücklich war er nicht, denn mehr als alles liebte er Dessislava, und diese Liebe war, wie er im Panorama-Restaurant definitiv erfahren hatte, mit Geld nicht zu kaufen.
8
    Das Haus mit der Uhr war ein kürzlich eröffnetes Restaurant auf der Moskowska-Straße in bester Zentrumslage, sündhaft teuer und mit tadelloser Bedienung, aber einer Küche, die mehr vom Ehrgeiz als vom Geschmackssinn der Köche zeugte. Sie saßen draußen im Garten. Eduard Toschev hatte um dieses Treffen gebeten, Christo hatte das Restaurant ausgewählt, da es sich in der Nähe seiner neuen Büroräume auf derselben Straße befand. Er residierte nun in einem gründerzeitlichen, von einem Wiener Architekten entworfenen dreigeschossigen Gebäude, das mit seinen historizistischen Stilzitaten einer Adligen

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