Seelenasche
zahlte dieser Klinik ein Schweinegeld für die Pflege seiner Mutter, lieà die teuersten Medikamente aus aller Welt kommen, lieà seinen Chauffeur jeden Tag hinfahren mit einem gewaltigen BlumenstrauÃ, erwirkte auch, dass ein Naturheilkundler eingeschaltet wurde. Drei Wahrsagerinnen blickten für Ljuba in die Zukunft. Ein eigens für den behandelnden Arzt gekaufter VW sollte für dessen ständige Verfügbarkeit sorgen. Den Mann der Oberschwester stellte er in seiner Firma ein. Kurz, er tat alles und war zu allem bereit, um seine krebskranke Mutter wieder ins Leben zurückzuholen. »Keine Sorge, ich werdâ dich nicht allein lassen«, hatte Ljuba ihm mit dem verhuschten Lächeln eines Vögelchens versichert. Und nun war sie doch gegangen, hatte ihn betrogen, ihn allein gelassen. Das war ungerecht, ungeheuerlich, unfassbar. Das war ein Tod, der die Welt für Christo auf einen Schlag veränderte.
Eduard Toschev griff nach Christos Zigarre und drückte sie im Aschenbecher aus.
»Ist etwas vorgefallen?«
»Nein, nein â¦Â«
»Sie sind so blass geworden â¦Â«
»Nein, nein, es ist nichts.«
Im folgenden Schweigen und in der Windstille hörte er das Plätschern des Springbrunnens, strömend und ruhend zugleich wie das Wesen aller Dinge. Christo hatte in diesem Augenblick das Gefühl, die Welt um ihn her hielte an, trübe sich ein, tropfe.
»Ehrlich gesagt, ist etwas Fürchterliches passiert«, sagte Christo schlieÃlich starr vor Wut. »Man hat mich furchtbar beleidigt, tödlich beleidigt, Herr Toschev.«
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Herr Weltschev? Sie sehen mir gar nicht gut aus.«
»Nein, nein, ich bin nur gerade gestorben und als freier Mensch wiedergeboren worden, frei wie die Natur und ⦠ohne überflüssige Gewissensbisse. Ich denke, jetzt bin ich bereit. Jetzt kann ich Ihr freundliches Angebot annehmen.«
9
Wo war er eigentlich? Diese innere Gespaltenheit, die ihn fast umbrachte, hinderte ihn daran, es herauszufinden. Am schlimmsten und erschöpfendsten waren seine seelischen Krämpfe immer dann, wenn er gerade einen Bericht für die Stasi geschrieben und abgegeben hatte. Trotz seiner Selbstrechtfertigungen, er habe ja bloà einen fiesen Kerl verpetzt, fühlte er sich danach selbst derart fies, dass er zum Ausgleich, um sich selbst nicht gänzlich zu verachten, zu hassen und zu bemitleiden, etwas Schönes schreiben musste, etwas, das am entgegengesetzten Ende der Skala lag. Für gewöhnlich kam die Inspiration scheinbar zufällig, aus einer Verdichtung der natürlichen Elektrizität heraus, die sich in einem Geistesblitz entlud. Dann schärften sich die Bilder in seiner Einbildung, dann flogen ihm die Worte zu, und er hatte das grandiose Gefühl, sie, so wie sie kamen, nur aufschreiben zu müssen. Seine innere Anspannung wuchs derart, dass er zu zittern begann. Sein Mund trocknete aus; er versank völlig in Worten und Bildern. Das Geschriebene war stets etwas, das seinem Geist Auftrieb gab mit seiner Reinheit, Klarheit und Schönheit, und es kam ihm so vor, als könne er sich damit zugefügte und verübte Gemeinheiten aus der Seele waschen. Diese Worte bereiteten ihm nicht nur Vergnügen, sie hatten heilsame Wirkung. In der Vieldeutigkeit von Gesagtem, Gemeintem, Sinn und Bedeutung gaben sie Dimensionen der Welt Wirklichkeit, die sonst unter den Tisch fielen, und das spendete ihm Trost. Und den brauchte er, da seine Zerrissenheit, sein Uneinssein mit sich selbst ständig Schuldgefühle, eine Kettenreaktion aus Tun und Bereuen in ihm erzeugte.
Anfangs schrieb er nur kleine Impressionen, frisch und einfach wie Gartenblumen. Dann fielen ihm einige seltsam hermetische Gedichte in freien Versen ein. Und als er ein Büchlein mit japanischen Haikus gelesen hatte, die damals in Mode kamen, fand er, dass diese Form und Sageweise ihm passte wie ein Handschuh. Dieses dreizeilige Andeuten eines Stückes Natur, das ohne das Hinzutreten einer menschlichen Seele nichts zu besagen schien, kühlte die Wunden und blauen Flecken seiner Psyche am besten.
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Erinnerung
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Der Fetzen Wind, der
sich im Baum verfangen hat
im letzten Sommer
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Er beschäftigte sich meist nachts ein paar Stunden mit dem Schreiben, bis seine Anspannung sich löste und ihn selige, reine Müdigkeit übermannte. Auf die Idee, das Geschriebene jemandem zu zeigen, kam er gar
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