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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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… »Mal angenommen, einer von den politisch Tiefblauen setzt sich auf meinen Sessel: Der wird als Erstes Jordan beschuldigen, er sei ein verstockter Roter, weil er doch sonst niemals so lange den Runden Tisch hätte machen können vor der Wende; und wenn einer von den alten Sozis ans Ruder kommt, wird er unseren frischgebackenen Ehemann erst recht beschuldigen, dass er vom anderen Lager sei. Wer fragt denn heute noch, ob du ein Profi bist? Die einzige Fähigkeit, die heute an solchen Stellen dein Überleben sichert, ist, dir immer rechtzeitig das richtige Fähnlein umzuhängen! Vor der Wende war wenigstens das von vornherein immer klar …«
    Â»Aber Sieben Tage hat doch hohe Einschaltquoten«, gab Sima nicht klein bei.
    Â»In Sieben Tage wiederholt sich doch alles so notorisch wie beim Sex mit der eigenen Ehefrau.«
    Â»Herzlichen Dank«, meldete sich Dida pikiert.
    Â»Naja, ich meinte natürlich: … nach der Silberhochzeit.«
    Â»So weit haben wir’s also gebracht?«, empörte sich Jordan.
    Â»Du bist doch der Oberwiederholer … Wenn deine Frau nicht wäre, hätte ich dich schon längst weggeschlossen.«
    Alle lachten, aber mehr gezwungen als herzlich.
    Â»Natürlich gehst du zu Alphavision«, meinte Gospodinov nun ohne Ironie. »Ich freu mich ja auch für dich. Hab dich immer gemocht und … ertragen. Kitzlig ist nur, dass die Sache so zweischneidig ist: Du wirst einerseits ein großer Zampano, der schalten und walten kann, wie er will; andererseits bist du aber verteufelt abhängig vom Gutdünken einer einzigen Person. Und bedauerlicherweise wird das nicht mehr meine Wenigkeit sein.«
    Â»Ja, sehr bedauerlich«, stimmte Jordan ironisch zu.
    Â»Und noch eins, Dummerchen: Die Privatsender mögen ja auf den ersten Blick viel freier wirken als unser Staatsfernsehen, aber das scheint nur so, das wirst du sehr bald merken. Wer die Mucke bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird, und leider haben diese Leute mit den dicken Brieftaschen oft einen grausigen Geschmack.«
    Liebenswürdig und mit jenem unerschütterlichen Lächeln, hinter dem sich alles verbergen konnte, brachte die chinesische Bedienung ihnen die nächste Runde Schnaps, den bestellten Salat aus Sojasprossen und den panierten Fisch. Gospodinov stürzte sich sofort darauf. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Die Luft um ihren Tisch schwamm in Tabaksqualm und dem Dunst gebratener Gemüse, wurde verwirbelt im leeren Gerede von Gästen, die gekommen waren, um sich vergnügt an den großen Portionen zu überfressen.
    Â»Wie steht’s eigentlich mit den Hochzeitsküssen?«, fragte Sima. »Wir haben noch gar keinen gesehen.«
    Danielas Lippen gaben sich ohne alles Misstrauen hin. Nach dem Kuss bahnten sie sich den Weg zu der Stelle hinter Jordans Ohr, wo sie flüsterten: »Na denn … auf immer, Weltschev mein!«
15
    Als ihr Onkel, Alexander Weltschev, sie zu einem, wie er denke, »höchst interessanten und erfreulichen Gespräch« einlud, kam Dessislava unweigerlich in den Sinn, dass das wohl nur etwas Unangenehmes über seinen Sohn Christo sein konnte, mit dem er ja nicht in den besten Beziehungen stand. Lustlos und auch nur deshalb, weil sie nur schlecht hätte absagen können, nahm sie die Einladung an. Alexanders kleine Kanzlei befand sich auf der Vittorio-Positano-Straße, gleich hinter dem Justizpalast. Von seinem Fenster aus sah man auf den Wendekreis der Straßenbahn, die stadtauswärts fuhr. Das Frühjahr ließ sich Zeit, doch durch die permanente Bautätigkeit versanken die Straßen auch ohne Regen und Tauwetter im Dreck. Die Bauherren schienen es alle sehr eilig zu haben, und so war die Qualität der Bauausführung nebensächlich; Hauptsache war, es sah teuer aus. Dessislava stakste über den aufgerissenen Gehsteig und verschwand im Eingang. Drinnen roch es nach feuchten Mauern und den Gerüchen von Generationen. Von den Wänden im Treppenflur fiel der Verputz, wo nicht, hatten Spontankünstler obszöne Zeichnungen angebracht. Die dicke Kartonpappe und die leeren Schnapsflaschen deuteten darauf hin, dass Obdachlose die schlecht schließende Außentür nutzten, um hier unter den aufgebrochenen Briefkästen zu nächtigen. In einer der Wohnungen oben kläffte ein Hund, dem Gebell nach zu urteilen, ein kleiner Wadenbeißer.
    Die Kanzlei befand sich oben auf

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