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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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der sechsten Etage und war ein kleines Kabuff, immerhin mit eigener Toilette. Obwohl es kürzlich frisch gestrichen worden war, war der Muff alter Aktenordner ebenso wenig verschwunden wie der Azetongestank und der scharfe Geruch der Haarpräparate, die im benachbarten Frisiersalon verwendet wurden. Die Möbel – nicht mehr, als unbedingt nötig – waren alt und wacklig. Ein kurzer Rundblick genügte Dessislava, um festzustellen, dass die Geschäfte nicht besonders gut liefen und ihr Onkel vornehmlich wenig zahlungskräftige Rentner mit ihren kleinen Eigentumsangelegenheiten zu Mandanten hatte. Der emeritierte Jura-Professor hatte wohl nicht die flinke Dreistigkeit und den skrupellosen Zynismus, mit dem einige seiner Kollegen dadurch Geld scheffelten, dass sie die kriminell reich Gewordenen juristisch vertraten, die sich die Legalisierung ihrer Geschäfte etwas kosten ließen.
    Ihr Onkel saß hinter seinem kleinen Schreibtisch und spitzte mit einem Messerchen gerade Bleistifte. Er sah gealtert, abgemagert, regelrecht zusammengeschrumpft aus, sodass sein Anzug an ihm schlabberte, als wäre er ein Clown nach dem letzten Auftritt. Er hatte auch viel Haar verloren, und in seinen Augen standen Ohnmacht und Melancholie. Doch gleich darauf wurde ihre Aufmerksamkeit gefesselt von einer alten Frau, die am Fenster saß, wie eingepasst in den Schatten neben dem hereinfallenden Licht. Eine Art tragischer Vollendung ging von ihr aus und eine solch bezwingende Würde, dass Dessislava unwillkürlich zusammenfuhr. Sie war betont elegant, ja, vornehm gekleidet. Auf dem Kopf trug sie ein kleines, kokettes Hütchen mit Schleier, das schrecklich altmodisch war, ihr aber phantastisch stand. Die Handtasche in ihrem Schoß war nicht minder démodé, aber aus erstklassigem Leder gearbeitet.
    Â»Sei mir gegrüßt, meine Liebe«, holte Alexander seine Nichte aus der Versenkung, »das ist Frau Sonja Toromanova, die verwitwete Ehefrau meines Vetters Georgi Pantov.«
    Â»O ja, ich habe von Ihnen gehört«, freute sich Dessislava, »Onkel Georgi ist oft zu uns nach Hause gekommen und hat Mama Antiquitäten verkauft.«
    Â»Wie schön«, erwiderte die Dame sanft und gehalten.
    Dessislava wusste selbst nicht, warum sie dieser Frau gefallen, ihr zeigen wollte, wie sympathisch sie ihr war.
    Â»Ich mochte Onkel Goscho, er hatte so eine besondere Ausstrahlung … wie ein Zauberer im Varieté.«
    Â»Da haben Sie recht. Mein Mann ist sein Lebtag Kind geblieben, und wie bei den Kindern waren seine artistischen Züge voller Launen. Damit hat er andere in Bann geschlagen, tat dabei aber oft des Guten zu viel.«
    Â»Zu viel, zu viel, aber immer amüsant und ohne Falsch.« Beim letzten Wort zuckte Sonja Toromanova zusammen, und Dessislava merkte, dass sie mit ihrer etwas zu naiven Einschätzung die Frau, die Georgi so viele Jahre aus der Nähe erlebt hatte, ungewollt verletzte. Darum sagte sie nichts weiter.
    Ihr Onkel griff nach einigen Aktenmappen, holte diverse Blätter heraus, legte sie vor sich hin und glättete sie mit der Handfläche.
    Â»Hier, das ist ein Vertrag, Dessi. Den kannst du so annehmen oder ablehnen. Wenn du mich fragst, kannst du ihn getrost unterschreiben, aber Frau Toromanova und ich akzeptieren jede deiner Entscheidungen.« Aus der Sakkotasche holte er eine Visitenkarte mit der Nummer seines Mobiltelefons. »Ich gehe jetzt ins Café gegenüber; in der Zeit wird Frau Toromanova dir ihren Vorschlag genauestens unterbreiten. Wenn ihr euch einig geworden seid, wähl mich einfach auf dem Handy an und lass es einmal klingeln.«
    Er erhob sich kraftlos und mit der Apathie eines Rentners, der selbst nicht genau weiß, was er hat, nahm Hut und Mantel vom Garderobenhaken, verbeugte sich noch einmal ehrerbietig vor der eleganten Dame am Fenster und ging hinaus. Die beiden Frauen blieben mit der Stille allein, die im langsamen Tropfen des Wasserhahns erst so recht hörbar wurde. Sonja Toromanova zog ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Damenhandtasche, und zwar mit einer solch beiläufig gleitenden Bewegung, dass es schon wieder auffiel. Draußen war es noch hell, sodass Dessislava das scheue Lächeln erkennen konnte, das wie ein Vögelchen vom Gesicht der Dame aufflatterte, als sie den Mund zum Reden öffnete.
    Â»Ich weiß gar nicht, wie und womit ich beginnen soll«, sagte sie schließlich, »darum habe ich mich

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