Seelenasche
entschlossen, nicht lange um den heiÃen Brei herumzureden. Hören Sie mich bitte zunächst einfach bis zu Ende an, wenn schon nicht bereitwillig, so doch zumindest aus ⦠aus â¦Â«
»Höflichkeit?«
»So kann man es vielleicht ausdrücken«, seufzte Sonja. »Kurz: Ich besitze ein Appartement in Sofia in bester Zentrumslage, die Fenster gehen auf die Alexander-Newski-Kathedrale. Ihr Onkel hat mir versichert, dass es mit seinen zweihundertfünfzig Quadratmetern derzeit gute 400.000 Dollar wert ist, und die Immobilienpreise steigen unaufhaltsam. Aber davon kann ich nichts in den Tod mitnehmen, und so bin ich auf der Suche nach einem Erben, dem es nützen könnte, auf Sie gestoÃen. Ich möchte es ⦠möchte es Ihnen vermachen.«
»Das kann ich nicht annehmen!« Vor Ãberraschung, fast Empörung, sprang sie auf. »Wieso ausgerechnet mir?« Sie setzte sich wieder.
»Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, auch wenn dies, wie Sie mir bitte glauben wollen, an alte Wunden rührt.« Schamerfüllt zog sie sich das Netz des Schleiers vor die Augen, als könne dies sie vor unerwünschten Blicken schützen. Dann gab sie sich einen Ruck. »Ich war in Ihren Vater verliebt. Mein ganzes Leben war ich meinem Ehemann treu, aber heimlich, so heimlich, dass ich es selbst erst spät gewahr wurde, liebte ich Ihren Vater. Sie können sich sicher vorstellen, wie schlimm das für mich war.«
»Und er?«
»Ich kann nicht für ihn sprechen, hatte aber den Eindruck, dass auch er nicht ganz gleichgültig mir gegenüber war.«
»Und wann haben Sie das â¦Â«
»Oh, das ist lange her. Es ereignete sich so unerwartet wie im Traum. Ihr Herr Vater arbeitete damals für die Bestattungsagentur, die wir mit der Beisetzung meines Vaters beauftragt hatten. Es gab eine Polizeirazzia, und da schellte es plötzlich an unserer Haustür â Ihr Vater war es, um sich bei uns vor den Häschern zu verbergen, genauer gesagt, bei mir, in meiner Nähe.« Ihre Stimme hatte zu zittern begonnen. »Da fühlte ich, dass ich ihm wehrlos ausgeliefert war, und dass das immer so bleiben würde, solang ich lebe.« Sie lüftete den Schleier wieder. Ihren Augen war anzusehen, wie schrecklich unangenehm ihr das alles war, wie sie noch in der Erinnerung litt.
Totenstille trat nach diesem Geständnis ein. Die Frau am Fenster drückte ihre Zigarette aus, holte ein besticktes Taschentuch heraus, drehte es in der Hand, schien vergeblich zu rätseln, wozu es diente, und stopfte es wieder zurück an seinen Platz. Dessislava war zutiefst von Mitgefühl für diese Frau erfüllt, einer warmen Anteilnahme â einerseits. Darunter aber gab es eine kalte Unterströmung galliger Verärgerung über dieses Ausbreiten intimer Gefühle vor ihr, einem Menschen, den diese Frau doch gar nicht kannte.
»Nein, das kann ich nicht annehmen«, wiederholte sie hart. »Wir sind doch gar nicht verwandt!«
»Der Anwalt, Ihr Herr Onkel, hat ja bereits mitgeteilt, dass Sie frei entscheiden können â¦Â«
Der undichte Wasserhahn reizte Dessislava inzwischen in einer Weise, als plitschten die Tropfen direkt in ihr Gehirn. Durch die Verärgerung war die Entfernung zwischen ihr und dieser Frau gleichsam gröÃer geworden. Sie hatte sich in sich selbst verkapselt, die Frau in den lichtumhüllten Schatten unter dem Fenster.
»Wieso sind Sie ausgerechnet auf mich gekommen und nicht auf Jordan, meinen Bruder? Oder darauf, uns beide gleichmäÃig zu bedenken?«
»Sie haben recht, Ihr Bruder ist ohne Mutter aufgewachsen und hatte eine schwere Kindheit. Dass ich an Sie gedacht habe ⦠Ich habe Sie ja nur einmal gesehen, da waren Sie zwölf oder dreizehn Jahre alt und saÃen mit Ihrer Mutter und zwei Schauspielkollegen im Russischen Klub. Sie saÃen an dem Tisch unter der Linde und waren ein ganz sonniges, zartes Mädchen.«
»Erinnere mich«, unterbrach Dessislava sie, und das tat sie mehr als deutlich, dann damals hatte ihre Monatsblutung eingesetzt, und sie hatte sich so schmutzig und so eklig gefühlt unter diesen berühmten Leuten, die ihr damals so sauber und rein vorkamen.
»Sie trugen damals ein kurzes weiÃes Kleidchen und hatten eine weiÃe Schleife im Haar.«
»Es war an einem Sonntag«, fiel Dessislava ein, die noch von der Erinnerung ganz erschrocken war.
»Ja, richtig,
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