Seelenasche
»Was kostet die Welt?!« zum allseits bewunderten Lebensstil geworden war. Irgendwo hatte Jordan gelesen, dass zur Entwicklung und geistigen Durchformung einer Zivilisation Jahrhunderte nötig waren, zur Barbarisierung hingegen nicht mehr als drei Generationen. War das nicht ein interessantes Thema für seine Sieben Tage ? Mochte sein, aber damit würde er kaum noch jemanden hinterm Ofen hervorlocken, weil das nicht entertaining war, nicht skandalös oder wenigstens enthüllend. Die Menschen waren in den letzten Jahren abgestumpft und resistent gegen alles geworden, was bloà normal oder maÃvoll war.
Jana hatte von der groÃen Freiheit, Kaffee für die Fernsehleute zu kochen, bald die Nase voll, und da sie an sich hochintelligent war, bestand sie nach nur einem Monat Vorbereitung die Aufnahmeprüfungen für die Universität, wo sie sich für das Fach Journalistik einschrieb. Jordan hatte ihre beklemmende Drohung nicht vergessen, als er Weihnachten mit Dida zu Hause aufgekreuzt war: dass sie von zu Hause weglaufen oder sich das Leben nehmen würde, wenn er diese Frau noch einmal mitbrächte. Jordan bat Dessislava, doch mal mit ihr zu reden. Am anderen Morgen kam seine Schwester mit tiefen Schatten unter den Augen und Leidensmiene zu ihm rauf in die Mansarde.
»WeiÃt du, was das ganze Problem ist? Jana ist nicht bloà beeindruckt von deiner Freundin, sie mochte sie auch vom ersten Augenblick an. Dieses spontane Hingezogensein hat sie furchtbar erschreckt, und sie hat Angst bekommen, wenn sie sich diesen Gefühlen hingibt, verriete sie ihre Mutter, Neda!«
Dida riss ihn aus seinen Gedanken, als sie sich vom anderen Ende des Bettes meldete mit der Frage:
»Du willst mich wegen ihr nicht zeigen, stimmtâs?«
»Ja, es ist immerhin meine Tochter. Und sie hat ihre Mutter verloren.«
»Aber Jana ist doch inzwischen erwachsen?«
»Du kennst sie nicht. Immer wenn es dir am wenigsten passt, ist sie ein Baby.«
»Irgendwann wird sie es ja doch erfahren.«
»Irgendwann wird sie es erfahren, ja.«
»Also dann?«
»Jana ist schrecklich labil. Ich hab Angst, dass sie was anstellt, dass sie eine schreckliche Dummheit macht.«
»Soll ich mal mit ihr reden? Wenn ich ihr sage, dass ich dich ihr gar nicht wegnehmen will, sondern dass wir beide mit dir leben werden?«
»Gnade uns Gott, sie kann bös sein wie eine aufgestörte Wespe!«
Beide schwiegen ratlos. Irgendwann drehte Dida sich auf die Seite und schaute ihn mit Augen an, die grau geworden zu sein schienen, erfüllt von einem lange verborgen gehaltenen Schmerz.
»Ich muss dir auch etwas sagen.«
»Dann schieà mal los.«
»Ich hab bis jetzt geschwiegen, weil ich dich nicht unter Druck setzen wollte, aber meine Entscheidung ist nicht mehr rückgängig zu machen.«
»Was für eine Entscheidung?«
»Ich bin schwanger, im vierten Monat. Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht mehr wegmachen.«
»Und?«
»Falls du noch nicht draufgekommen sein solltest: Der Vater bist du, Weltschev.«
»Was?«
»Ich will es aber nicht wegmachen lassen. Dich, Weltschev, wäre ich fähig umzubringen, aber dein Kind ist mein Kind, und ich hatte für mich beschlossen, es auch ohne dich aufzuziehen.«
»Warum sagst du mir das erst jetzt?«
»Weil du mir erst jetzt einen Heiratsantrag gemacht hast, und da wäre es unfair gewesen, es dir nicht zu sagen.«
»Was red ich immer von Jana! Hoffentlich mach ich keine Dummheit«, sagte Jordan mit einer Stimme, die aus groÃer Tiefe zu kommen schien. »Wenn du kein Fleisch dahast ⦠geh ganz schnell und mach diese Fischkonserven auf, sonst passiert noch was mit mir.«
14
Mag der Wunsch der Vater des Gedankens sein, die Bürokratie regelt seine Ausführung, und so standen der EheschlieÃung Jordans und Didas eine ganze Reihe beizubringender Formulare und Dokumente entgegen, und das kostete Zeit. Geduld, gute Nerven und Zeit. Als er in die Erste Städtische Klinik ging zur Blutuntersuchung, teilte ihm der Arzt, ein Mann wie ein Bergmassiv mit unerwartet hoher Stimme, der ihn sofort erkannte, betreten mit, dass die Ergebnisse des AIDS-Tests frühestens in drei Wochen vorlägen.
»Warum haben Sie es so eilig, Ihre Freiheit zu verlieren?«
»Weil die Braut es sich in der Zwischenzeit anders überlegen könnte«, antwortete Jordan halb ernsthaft,
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