Seelenasche
ihre Hand in seinem Haar verkrampfte sich.
»Ich weià ja nicht, was du davon hältst!«
»Viel.«
»Und ⦠wann meinst du �«
»Heute ist es schon zu spät«, sagte er ernst, »also â morgen!«
»O Gott, Weltschev«, stöhnte sie, »das meinst du doch nicht wirklich?«
»Doch«, widersprach er, »voll und ganz. Hab mir schon alles überlegt. Als Trauzeugen nehmen wir den alten Gospodinov, unseren Chef. Der wird uns mit Sicherheit nichts schenken, hat aber Gespür fürs Szenische und Sinn für Humor. Und als Trauzeugin schlage ich Sima vor. Die beiden mögen dich auch sehr.«
»Und du?«
»Was ist mit mir?«
»Magst du mich auch?«
»Wenn du mir nach der Hochzeit ab und zu mal ein Stück Fleisch brätst â¦Â«
Sie verstummten. Beide fühlten sich hilflos in der klammen Kühle der Wohnung, der hereinbrechenden Dämmerung, beide übertölpelt und glücklich zugleich.
»Was für ein Kleid soll ich denn tragen?«
»Das von heute, das lässt sich leicht ausziehen.«
»Enttäusch mich doch nicht so ⦠Und was ist mit den Ringen?«
»Für morgen werden wir uns welche leihen, danach lassen wir uns in Ruhe welche machen.«
»Und was ist mit Gästen?«
»Wir sind bekannt, die Menschen kennen uns, ganz Bulgarien würde â¦Â« Jordan trank einen Schluck unverdünnten Gin, dann kam er drauf und verschluckte sich. Seine Stimme klang flehentlich, heiser, als er fortfuhr: »Ich bitte dich nur um eines ⦠dass wir es geheim halten!«
»Wie â geheim halten?« Dida machte unruhige Bewegungen unter der Decke.
»Will sagen, wir heiraten ganz normal auf dem Standesamt, wenn du möchtest, sogar kirchlich, sagen das aber niemandem.«
»Ich versteh dich nicht«, sagte Dida mit verunsicherter Stimme.
»Ist das denn wichtig, dass die Leute es wissen?«
»Für die Leute nicht, aber für mich. Ich versteh das nicht«, sagte sie mit hörbarer Besorgnis in der Stimme, »das geht nun schon seit Jahren so: Warum versteckst du mich?«
Durch die dünne Zwischenwand hörte man, dass die Nachbarn den Fernseher aufgedreht hatten. Daniela löste sich von ihm, kroch ans andere Ende des Bettes und begann, stumm an die Decke zu schauen. Sie wusste, dass Jordans Tochter Jana bereits studierte, aber irgendwie trotzdem nicht aufgehört hatte, die anderen mit ihren pubertären seelischen Konflikten zu drangsalieren. Auf ihrem Gesicht, an sich schön wie das eines Engels, prangten noch immer Aknepickel. In den letzten Schuljahren hatte sie für gewöhnlich im ersten Halbjahr lauter Bestnoten, um dann im zweiten Halbjahr total abzustürzen, selbst in ihren Lieblingsfächern. Sie schwänzte Unterrichtsstunden, und einmal hatte man sie erwischt, wie sie auf der Männertoilette rauchte und Wodka trank. Nach dem Abitur vermittelte Jordan ihr Arbeit in der Cafeteria des Bulgarischen Fernsehens, dort verliebte sie sich in einen Beleuchter, der nach Janas Worten toll aussah, fett rüberkam, aber ansonsten das totale Opfer war, sodass sie ihn bald satthatte und Schluss mit ihm machte.
Für Jana war einer entweder cool, uncool oder ein totales Opfer. Dessislava hatte ihn, als Jordan sich über diese Ausdrücke aufgeregt hatte, aufgeklärt, dass so Janas ganze Generation redete, und dass sie damit ihr ganzes Angeödetsein vom Leben, das sie führten, und ihre Enttäuschung über die Welt, in der sie lebten, zum Ausdruck brachten. Das, was Jana mit ihren Freundinnen anstellte, war also fett , das, was Jordan ihr anbot, eher uncool , und die meisten Jungs waren die reinsten Opfer . Manchmal, wenn sie in besonders gehobener, aufgebritzelter Stimmung war, schaffte sie es, alle drei Wörter in einem Satz unterzubringen: »Stell dir vor, da kam dieses Opfer an, der hatte sich aber so was von fett die Kante gegeben, dass er voll uncool vor uns auf den Teppich gekotzt hat.«
Eine derart grassierende Vulgarisierung hatte Bulgarien noch nicht gesehen. Sie begann bei den Zeitungen, die damit ihre Auflage zu steigern hofften, setzte sich fort über das Radio- und Fernsehsprech, das angeblich den Leuten aufs Maul schaute, erlebte seine Sternstunden in den Texten, die die Popfolk-Sängerinnen absonderten zum ungemeinen Vergnügen jener Beschützer, deren flachstirniges, aber breitärschiges Savoir-vivre der Marke
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