Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
Hilfspfleger tätig war. Nach seinem Verschwinden hatte die Frau neben Krum, die eigentlich als Leitende Technologin in der Fabrik arbeitete, kommissarisch auch die Funktion des Direktors, der entlassenen Ingenieure und vermutlich noch einige andere übernommen. Viel zu zeigen hatte sie ihm ja eigentlich nicht mehr. Das tat sie gewissenhaft, ohne Ironie oder Sarkasmus, aber auch ohne besonders viel Lust.
    Â»Sie haben recht, Frau Weleva«, stimmte er ihr schließlich zu, »von dem, was mein Großvater da aufgebaut hat, ist nicht mehr viel übrig.«
    Â» Fräulein Weleva«, korrigierte sie ihn, als wäre dies jetzt besonders wichtig, und errötete dabei bis unter die Haarspitzen, »Gergina Weleva.«
    Erst da schaute er sie sich überhaupt richtig an und bemerkte, was ihn sowohl abstieß als auch anzog: Sie war seltsam missgestaltet. Außer einer finsteren und introvertierten Intelligenz war da nichts als diese Hässlichkeit. Bemerkenswert war, dass ihr voller Mund, die ausdrucksvollen Augenbrauen, die feine Nase, das neckische Kinn und so weiter für sich genommen eigentlich angenehm geformt waren, ja, sogar hübsch, doch ihre Gesichtszüge standen in heftigem Widerspruch zueinander. Hinzu kam noch die durch viele Enttäuschungen genährte Verschlossenheit. Ihre länglichen, leicht schräg stehenden Augen, der Schwung der Lippen, ihr langer Hals waren höchst weiblich, aber von einer Weiblichkeit, die sich nicht mehr traute , und daher den scharfen Ausdruck eines Jagdfalken, eines männlichen Jagdfalken angenommen hatte.
    Auf Krum wirkte dies alles seltsam tröstend, beruhigend wie die vertrauten Dinge des Alltags. Eine gewisse, wenn auch entfernte Ähnlichkeit mit seiner Mutter war nicht zu leugnen. Dieselbe Zurückhaltung, dieselbe scheinbare Unaufdringlichkeit. Ihre tadellose Figur versteckte sie unter weitem Rock und weiter Bluse von unbestimmter Farbe, über der sie eine selbstgestrickte ärmellose Jacke trug, und bei ihrem Haar konnte man nicht von Frisur sprechen, sondern bestenfalls davon, dass Dusche und Donauwind das Waschen und Fönen besorgt hatten.
    Mit diesem Äußeren passte sie vortrefflich zu der Verlassenheit der Fabrik, deren Interimsdirektor und Mädchen für alles sie war. Sie hatte Krum an der Pforte in Empfang genommen, wo ein schwerhöriger und querköpfiger Rentner ihnen den Schlagbaum öffnete, und war mit ihm zuerst ins Büro des Direktors gegangen. Auch hier zeugten die weiche, aber fleckenreiche Sitzgarnitur und die seit Jahren nicht renovierten Wände davon, dass sich seit Jahren niemand mehr für irgendetwas zuständig fühlte. Die Telefonanlage auf dem Schreibtisch war schon lange defekt; daneben prangten kleine Bakelitnachbildungen der ersten sowjetischen Raumsonde Sputnik und der Raumstation Mir. An der Wand hing ein Plakat von Rowno, der russischen Partnerstadt Widins. Die Heizkörper, ebenfalls defekt, waren regelrecht eingepackt in Spinnweben. Es war empfindlich kalt im Raum, obwohl ein elektrisches Heizöfchen mit zwei Heizdrähten lief, von denen aber nur einer glühte. Krum schwieg. Gergina schwieg. Lang und betroffen, jeder für sich, als hätten sie einander vergessen. Dann holte Gergina eine Schachtel Pralinen aus der Schublade, deren Schokolade grau angelaufen war. Auch der Geschmack verriet, dass sie höchstwahrscheinlich noch sozialistischer Produktion entstammten. Das, was vom Tag durch die ewig ungeputzten Fenster fiel, war nicht geeignet, diese Trostlosigkeit sonderlich aufzuhellen.
    Â»Ãœbrigens, es gibt da doch etwas, was von Ihrem Herrn Großvater geblieben ist«, sagte Gergina leise. »Soll ich es Ihnen zeigen?«
    Â»Aber natürlich, Fräulein Weleva, deswegen bin ich ja hier.«
    Die Angesprochene erhob sich geschmeidig und öffnete die Tür zum Nebenraum, einem langen, mit Plüschgardinen behängten Zimmer, das als Fabrikmuseum diente. Auf Wandregalen aus Eichenfurnier waren Muster aller Porzellanerzeugnisse ausgestellt, die die Fabrik seit Beginn der sozialistischen Ära hergestellt hatte. Sie waren verstaubt in gnädigem Vergessen; aber man konnte doch verfolgen, wie im Laufe der Zeit die Entwicklung zu immer erlesenerem Porzellan mit hauchdünnen Wänden ging, das in die ganze Welt exportiert wurde. Einige Serien waren mit Blattgold verziert, und auf einigen der großen Terrinen und Schüsseln waren die Festung Baba Wida

Weitere Kostenlose Bücher