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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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bescheidenen Obolus zu entrichten«, und damit meinte er die fetten Gewinne, die Christo seit dem Kremikovzi-Deal machte. Was ihn im Verlaufe des Gespräches bis aufs Blut reizte, war nicht so sehr die Dreistigkeit an sich, mit der der General die Hand aufhielt; nein, was ihn aus der Haut fahren ließ, war die Tatsache, dass Grigorov nicht nur über den Wert des Kremikovzi-Deals bestens informiert war, sondern auch in Andeutungen zu erkennen gab, dass er den Wert der getätigten und – was noch beklemmender war – der geplanten An- und Verkäufe genau kannte. Sosehr sein Hirn auch rotierte, Christo konnte sich einfach nicht erklären, wie und an welcher Stelle diese Geschäftsgeheimnisse durchgesickert sein mochten. Es war unheimlich – fast so, als könne Grigorov Gedanken lesen. Er sagte zum Beispiel: »Ich bin sicher, dass es Ihnen im Traum nicht einfallen würde, Ihre Pflicht zu vernachlässigen!« Genau das aber hatte Christo ernstlich erwogen. »Sie sind viel zu korrekt, um derlei auch nur zu erwägen. Der Grund meines Anrufes ist daher auch nur, Ihnen mitzuteilen, dass die Umstände mich gezwungen haben, das Bankkonto zu schließen, auf das Sie bisher überwiesen haben. Um Ihnen die Begleichung Ihrer Schuld so leicht wie möglich zu machen, Herr Weltschev, werde ich Ihnen einen Vertrauten schicken, dem Sie das Geld bar aushändigen, Sie wissen ja: Nur Bares ist Wahres. Ha, ha, ha.«
    Â»Und wer ist dieser Vertraute? Sicher Oberstleutnant Petrov, nicht?«, konnte Christo sich nicht verkneifen zu sticheln.
    Â»Oooh, ja wissen Sie denn nicht? Der gute alte Petrov hat sich da in so ein Geschäftchen mit synthetischen Drogen eingemischt, und das ist seiner Gesundheit nicht gut bekommen. Schade um ihn, in seinem Bereich war er ein Ass.«
    Â»Und wusste allerhand, hm?«
    Der General tat so, als müsse er tief nachdenken, und verfiel in Schweigen. Am Tag zuvor hatte Christo ihn in den Nachrichten gesehen. Über ihn wurde berichtet, er habe einen geheimen Ring aus ehemaligen Generälen, dubiosen Geschäftsleuten und kompromittierten Politikern gegründet, die dadurch aufgefallen waren, dass sie nacheinander Mitglied in mehreren rechten, linken und liberalen Parteien gewesen waren. Die Journalisten hatten diesen Ring »Mont Blanc« genannt, nach der Gaststätte, in der der Freundeskreis sich zu seinen Besprechungen traf. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, dass Mont Blanc einige Grenzübergänge kontrollierte. Firmen, die der Vereinigung gehörten, standen im Verdacht massiven Mehrwertsteuerbetrugs und gelangten immer an die lukrativsten öffentlichen Aufträge. Altersgebeugt, aber mit einem von Verfeinerung und tadellosen Manieren ummäntelten Zynismus, hatte er im Fernsehen entrüstet von der Korruption in den höchsten Etagen der Macht gesprochen, von der Unbelangbarkeit der bulgarischen Mafiosi, der fatalen Rolle der aufgestiegenen Multimillionäre und der Verfilzung von Staat und organisierter Kriminalität. Der Zynismus bestand eben darin, dass dieser Mann seelenruhig die Wahrheit sagte – sagen konnte, und das war vielleicht das Allerschlimmste. Er hatte abgemagert ausgesehen. Die schweren Tränensäcke unter seinen Augen fielen auf in seinem eingefallenen Gesicht. Man hätte ihn für einen Weisen halten können, aber wer genau hinsah, musste bemerken, wie viel Verachtung in seinem Blick lag, wie viel Verschlagenheit und Wahnsinn, der sich vernünftig gab, kurz, wie viel Triumph im Wissen um die eigene Wichtigkeit, die eigene Macht.
    Christo konnte sich nicht zurückhalten, wollte es genauer wissen und fragte schadenfroh und wütend zugleich:
    Â» Zu viel wusste er, der alte Petrov, wie?«
    Â»Sie wirken heute irgendwie gereizt, lieber Weltschev. Haben Sie vielleicht schlecht geschlafen? Ich könnte Ihnen in diesem Fall ein wunderbares Baldrianpräparat auf rein pflanzlicher Basis empfehlen.«
    Das Gefühl der Unbehaustheit in einer feindlichen Welt war so stark, dass Christo es als leichten Körperschmerz empfand, als körperliche Taubheit. Ihm war, als sähe er sich beim Einschlafen zu. In diesem Moment erfasste er mit seiner peripheren Sicht, dass da etwas sehr Graziöses aufgetaucht und in kaum fünfzehn Meter Entfernung stehen geblieben war, etwas von schattenhaft zarter, verhuschter Gegenwärtigkeit. Das Reh war aus den noch winterlich kahlen Haselbüschen

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