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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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mit Fingerspitzengefühl und Intuition; dies ist die eine Seite. Er braucht aber auch stabile rechtliche und gesetzliche Rahmenbedingungen, um sich entwickeln zu können, und starke staatliche Institutionen, die diese Rahmenbedingungen garantieren.
    Hier jedoch – ich sage Ihnen damit nichts Neues – fühlt nicht nur das einfache bulgarische Volk, nein, fühlen auch wir Geschäftsleute uns betrogen von politischen Vertretern, die gewählt wurden, um dem Gemeinwohl zu dienen, sich aber stattdessen in willkürlichster Weise egoistisch verhalten. Ausländische Beobachter hören nicht auf, die Trägheit, ja, Ohnmacht unseres Justizsystems zu kritisieren, die Korruption und Verfilzung verbrecherischer Organisationen mit dem Staat …
    Dies hat uns, einige der führenden Geschäftsleute Bulgariens, zur Gründung einer Interessenvertretung, eben des Klubs der 24 , bewogen, mit dem wir dem geschilderten Missstand abhelfen und in Legislative und Exekutive die nötigen Standards durchsetzen wollen. Und wir tun dies, weil wir wissen, dass der Umgang mit Kapital nicht nur ein Cowboy-und-Indianer-Spiel für große Buben ist, wie viele meinen, sondern Voraussetzung für das gesellschaftliche Wohl.«
    Totenstille trat ein. Jemand hüstelte. Da begann Eduard Toschev neben ihm demonstrativ zu klatschen, und wie bei einer aufzischenden Silvesterrakete verbreitete sich sein Signal bald über das ganze Foyer, wurde stärker, brandete auf in leerer Begeisterung und verebbte, ganz so, wie es vor Jahren bei den bedrückenden Parteiversammlungen der Kommunisten gewesen war.
    Intuitiv hatte Christo auf die Formel gebracht, woran die Gesellschaft krankte, eine Formel allerdings, die hinfort zur Rechtfertigung dienen sollte für alle Dreistigkeiten, die die bulgarischen Wirtschaftsführer heute und in Zukunft begingen. Mariana Ilieva, Toschevs Ehefrau wider Willen, leuchtete ihn an, schön wie nie, so als wäre er die Verkörperung all ihrer Träume.
    Â»Das war doch großartig«, raunte Toschev ihm zu und klopfte Christo auf die Schulter, »und das mit dem Cowboy-und-Indianer-Spiel, das war einfach das Sahnehäubchen.«
    Â»Danke, Herr Toschev. Bevor ich es vergesse, ich hätte da … ich würde Sie gern in einer Sache unter vier Augen …«
    Â»Ist es wichtig?«
    Â»O ja«, flüsterte Christo.
2
    Mit hochachsigen Offroad-Fahrzeugen hatten sie sich durch ein Meer aus Schlamm den Weg ins wilde, von Gott vergessene Jagdrevier im Strandsha-Gebirge gebahnt, begleitet vom wimmernden Geheul der Schakale. Eduard Toschev hatte Christo zu dieser Jagdpartie eingeladen. Die Landschaft war nicht nur wild, sondern auch unzugänglich; die Täler von niedrigem Eichenwald und undurchdringlichem Gestrüpp bewachsen. Der Förster zog das rechte Bein nach. Seine Augen wirkten kalt und roh bis zur Schroffheit, und er war nicht sehr gesprächig. Seine Frau war dafür umso flinker mit ihrer schmalen Taille und ihren Augen, die ständig neugierig hin- und herflogen. Toschev hatte die Jagdhütte derart gründlich renovieren lassen, dass sie jetzt den Komfort eines Fünf-Sterne-Hotels bot.
    Am Freitagabend waren sie früh zu Bett gegangen, und nun standen sie im Morgengrauen da und luden ihre Doppelflinten mit Schrotkugeln. Der Tag war klar und kühl. Es roch nach Erde, altem Laub und morschem Holz, nach Frühjahr. Zartes, aber kräftiges Grün brach aus den Zweigen, durch das man den Himmel sah wie durch eine Weichzeichnerlinse. Die Aprilsonne sprenkelte den Wald und belebte ihn, eine klingende Stille erfüllte ihn, unterbrochen von einzelnen Windböen, unter denen das Gestrüpp geheimnisvoll raschelte.
    Die kleine Jagdgesellschaft verstreute sich schnell, verlor sich im Talgrund aus dem Blick. Christo hatte sich allein unter den Stamm einer Buche gestellt, weil ein ekliges Gefühl, von allen verlassen und sofort vergessen worden zu sein, ihn trostlos stimmte. Er musste sich sofort von diesem Schwächeanfall befreien, und das Nächstbeste, was ihm in den Sinn kam, war das Gespräch mit Grigorov vom Vortag.
    Der General hatte ihn am Morgen im Büro auf seinem Mobiltelefon erreicht. Seine Stimme hatte in ihrer ironischen Liebenswürdigkeit so glitschig wie Schmierseife geklungen; mit jeder Antwort konnte man darauf ausrutschen! Er wollte Christo daran erinnern, dass es wieder einmal Zeit sei, »den vereinbarten

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