Seelenasche
die Leute gar nicht wussten, wer dieser Krum Krumov war. Sie brachten ihn auch nicht in Verbindung mit Krum Marijkin, der vor einem halben Jahrhundert in die Stadt gekommen und zum Schrecken der Gegend geworden war mit seinem revolutionären Fanatismus. Die jüngeren Widiner kannten weder den einen noch den anderen und beschäftigten sich ohnehin mehr mit dem Problem, wie sie nach Spanien, Italien oder Deutschland kommen konnten, wo sie vielleicht Arbeit fänden; die Mutigeren versuchten sogar, nach Kanada oder in die USA zu kommen. Am allerwenigsten war bekannt, dass Krum Marijkin der uneheliche Sohn jenes Ilija Weltschev war, der die Porzellanfabrik erdacht und aufgebaut und deren erster Direktor gewesen war, bis der eigene Sohn ihn enteignet hatte! Dass der Alte diese Fabrik, die sein Lebenswerk gewesen war, in einem vorausschauenden Testament, dem Fall des Falles des Sozialismus, nun ausgerechnet dem vermachte, der sie ihm genommen hatte, war daher eines jener psychologischen Rätsel, die an keinem Stammtisch ihre Lösung finden würden. Und so war es wohl das Einfachste anzunehmen, dass â ganz gleich was passierte â Blut eben dicker war als Wasser, und wer das nicht freiwillig einsehen wollte, dem wurde es per Erbschaft gleichsam als Strafe aufs Auge gedrückt.
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass der Aufstand, den der Sohn damals gegen den Vater geprobt hatte, sich nun wieder ereignete, nur in umgekehrter Richtung: Der Sohn nahm ein Erbe an, das der Vater unter Garantie ausgeschlagen hätte, und mit diesem Erbe sagte er auch Ja zu den Erbanlagen, die von Ilija Weltschev auf ihn gekommen waren. Mehr noch, die eigentliche Ironie bestand darin, dass sich die finstere kapitalistische Vergangenheit als lebendiger und haltbarer erwiesen hatte als die strahlende sozialistische Zukunft, und dies hätte, wenn es die Widiner denn der Rede wert befunden hätten, in seiner Ungeheuerlichkeit durchaus verdient gehabt, in die Annalen der Stadt einzugehen.
Der Einzige, den die Nachricht hellhörig machte, dass Krum Krumov nun wohl so etwas wie ein Unternehmer geworden war, war der schwerreiche und daher hochverehrte Pawel Tscholev, Krum Krumovs einstiger Mitschüler. Er grinste schief, klatschte seiner Sekretärin, die gerade von ihm schwanger war, auf den Popo, und meinte:
»Schau sich einer diesen kleinen Gernegroà an. Macht vor mir einen auf bettelarm, aber redlich ⦠und organisiert sich hinter meinem Rücken still und heimlich ein kleines Fabrikchen!«
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»Aber es ist ja fast nichts so geblieben, wie es von Ihrem verehrten Herrn GroÃvater hinterlassen worden ist«, sagte sie. »All die Jahre ist die Fabrik erweitert, ausgebaut und modernisiert worden. Bedauerlicherweise â¦Â« Sie schwieg verlegen.
Sie befanden sich in der Kantine, die schon lange nicht mehr arbeitete. Die Tische waren demoliert, oder es waren alle auÃer den beschädigten gestohlen wie die Töpfe, Pfannen und das Geschirr aus der GroÃküche, wo auch sonst alles, was sich als Altmetall verkaufen lieÃ, herausgerissen worden war. In den Toiletten stank es bestialisch nach Urin und Chlorkalk, und es war alles furchtbar verdreckt. Einige der Wasserkästen waren beschädigt, aus anderen rann unaufhörlich Leitungswasser. Auch hier war alles, was Wiederverkaufswert hatte, gestohlen. Der Tag konnte sich nur noch in der Hälfte eines Spiegels betrachten, der es über einem der Waschbecken geschafft hatte, den Vandalismus zu überstehen.
Teils wegen dieser gewissenlosen Klauerei, teils wegen des eng gewordenen Markts, teils wegen Verteuerung der Rohstoffe waren zwei Drittel der Beschäftigten entlassen worden. So verwaist, glichen die Hallen geheimnisvollen Kultstätten. In den Gängen herrschte Grabesstille, der ungebrauchte Koks hatte seinen Glanz verloren, das Kaolin war nachgedunkelt. Nur ein Brennofen arbeitete noch, und in dem wurden vorwiegend folkloristische Römertöpfe mit Glasur und hingepfuschter Bemalung gebrannt. Die Frau, die ihn durch das Werk führte, sagte, das wäre das, was noch »ginge«. Der vormalige Direktor hatte die fertige Produktion aus Feinporzellan für einen Dumpingpreis abgestoÃen, hatte es verstanden, den ganzen Gewinn und die Prämien ausschlieÃlich an sich selbst auszubezahlen, und hatte mit dem Geld die Reise nach Kanada finanziert, wo er jetzt in einem durch Spendenmittel unterhaltenen Altersheim als
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