Seelenasche
oder der Festungsturm Kaleto aufgemalt, absichtlich im Chamoisbraun der guten alten Zeit. Als Krum sich in einige der Ausstellungsstücke vertiefte, sagte Gergina: »Nein, das ist es nicht.«
Sie ging weiter zu einem in die Ecke geschobenen Schränkchen, öffnete es, hielt einen Augenblick inne, so als frage sie sich, ob sich die Mühe überhaupt verlohne, und dann begann sie, ein Service herauszuholen, das im neobarocken Stil der Widiner Bourgeoisie gestaltet und â mit Paradiesvögeln bemalt war. Die Vögel sahen so ungewöhnlich aus, waren von so lebendiger Schönheit, dass es Krum schien, als hörte er sie singen, als sähe er sie aufflattern und wieder landen, und zwar zugleich auf ihren GefäÃen und in seinem Herzen. Ihm wurde ganz flau vor Entzücken.
»Diese Paradiesvögel, die hat Ihr GroÃvater Ihnen vermacht. Zu ihrer Zeit wurden sie auf recht grobes Porzellan appliziert, den technologischen Möglichkeiten der Zeit entsprechend. Stellen Sie sich vor, wie sie auf einem Service wirken würden, das nach dem heutigen Stand der Rohstoffverarbeitung und Technik angefertigt ist. Da würde man meinen, sie fliegen, Herr Marijkin, nicht?«
»Vielleicht helfen Sie mir ja dabei, genau das zu tun«, erwiderte er zitternd vor Aufgewühltheit und betrachtete die ebenfalls bewegte Gergina Weleva, wie sie dastand, in ihrer uneitlen Aufmachung, beschienen vom gedämpften Abendrot. Man hätte meinen können, dass sie schön war.
Zweites Kapitel
1
Das Mikrofon vor ihm piepte, knisterte und knackte. Vom Podium aus sah das riesige Foyer des Sheraton-Hotels Balkan Sofia beinahe unbedeutend und klein aus. Christo hatte zunächst entschieden abgelehnt, das Forum zu eröffnen, wollte im Hintergrund bleiben, um trotz seines Einflusses weiterhin ungestört und frei mit Dessislava verkehren zu können, doch Eduard Toschev hatte scharf eingewandt: »Sie haben jetzt Erfahrung gesammelt, sind ein Faktor im groÃen Spiel geworden, jetzt müssen Sie sich diesen Gockeln aus Politik, Geschäftsleben und Medien auch zeigen; daran führt einfach kein Weg mehr vorbei. Irgendwann müssen Sie sich die Hände schmutzig machen und lernen, mit dieser ganzen korrupten, perversen Bande umzugehen.«
Man sah Herren in Smoking und Markenuhr, Damen in Kleidern mit tiefem Rückenausschnitt, künstlichen Diamanten und noch künstlicherem Lächeln, das jetzt ebenso erstarb wie das allgemeine Gemurmel. Aller Blicke waren auf ihn gerichtet, neugierig, was er wohl für einer sein mochte, gespannt, ob sie ihn in Zukunft als ihresgleichen annehmen oder arrogant mit Nichtachtung strafen sollten. Verachtung durch Nichtachtung â oder Bewunderung voller Hass (dafür, dass sie sich ihm beugen mussten), das war hier die Frage.
Eine langbeinige Blondine, die amtierende Miss »Best Model of Bulgaria«, wisperte in ihr Mikrofon:
»Wir haben hier alle politischen Parteien bei uns, Gewerkschaften, Zeitungen, Radios und die TV-Sender mit Niveau, also echt guter Quote, meinâ ich; na, wer jetzt noch sagt, unserer Gesellschaft liegt nichts an Wohltätigkeit und Demokratie, der hat ja keine Ahnung ⦠Und schauen Sie sich nur um, meine Damen und Herren, wie festlich, wie ⦠also wirklich toll, nicht?«
Sie meinte die Tische, die in der Mitte aufgebaut waren und sich unter der Last der erlesenen Kulinaria bogen. Die verlockten in der Tat, aber nicht zu Wohltätigkeit, sondern zu einer »heiÃen Schlacht am kalten Buffet«. Christo wurde das Gefühl nicht los, das ganze Hotelfoyer sei ein zwar edel ausgekleideter, aber gewaltiger, unersättlicher Magen. Seinen besonderen Widerwillen erregten die Spanferkel mit dem obligatorischen Zitronenscheibchen im Rüssel. Er wurde den Eindruck nicht los, dass sie lebendig waren und nur der High Society wegen ins Sonnenstudio geschickt worden waren, um ihr entlarvendes Schweinchenrosa loszuwerden. Eduard Toschev musterte ihn kühl, dann gab er Christo nickend das Zeichen.
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»Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzte Kollegen,
ich begrüÃe Sie herzlich zu diesem Forum zum Thema âºHoffnungen und Enttäuschungen der sozialökonomischen Entwicklung Bulgariens unter kapitalistischen Vorzeichenâ¹!
Lassen Sie mich so beginnen: Kapitalismus ist kein Selbstläufer. Kapitalismus braucht entschlossene, tatenfrohe Männer mit Ideen und positivem Denken, aber auch
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