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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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herausgetreten mit seinem zierlich gesprenkelten Fell. Es hob den schlanken Kopf, stellte die Lauscher auf, horchte unruhig in den Wald hinein mit seiner ständigen Bedrohlichkeit und Ungewissheit, wedelte mit dem Stummelschwanz, witterte Christo aber nicht, weil der Wind nicht richtig stand. Christo dachte in diesem Moment, dass seine Flinte mit Schrotpatronen für Hasen geladen war, und dass er seinem plötzlichen Jagdimpuls nicht nachgeben durfte, weil der Schuss das Tier nicht sofort töten, sondern nur schmerzhaft verletzen würde.
    Er hob das Gewehr mit dem Gefühl, er könne dem Tier so wenig etwas anhaben, wie man dem Wind oder der Schönheit an sich etwas anhaben konnte. Er versuchte, seinen Puls in den Griff zu bekommen, der ihm plötzlich in den Schläfen hämmerte, das Blut zu bändigen, das ihm in den Ohren rauschte. Dann zielte er, als wär’s bloß zum Spaß, auf die gesprenkelte Hüfte des Tiers, strich über den Abzug und … dann schoss es ! Nein, das war nicht er , der da geschossen hatte, das war jemand, den er noch nicht kannte, einer, der kaltblütig zielte, und der Wunden schlug im vollen Wissen um das Leid des Gegenübers.
    Das Reh taumelte. Vermutlich hatten die kleinen Schrotkugeln seine beiden Hüften durchschlagen, denn es knickte ein und zog mühsam die Hinterläufe nach. Christo lief hin, blieb fünf Meter vor dem Tier stehen. Es weinte wie ein Mensch. Da legte er noch einmal an und schoss mitten hinein in diese Tränen. In seiner Erregung hörte er den Knall gar nicht, sah aber genau, wie das eine Ohr und das halbe Maul des scheuen Waldwesens fortgerissen wurden. Es war, als hätte er dem Tier die Grazie, die Schönheit weggeballert. Nichts als entstellte Hässlichkeit blieb zurück. Das ernüchterte ihn. Wieder stand er allein da, wie betäubt in der eingetretenen Stille. Ihm war, als beobachte Dessislava ihn von irgendwoher, er vermeinte, ihr ungläubiges Staunen zu sehen, dann ihre Scham, ihren aufsteigenden Ekel, ihr Angewidertsein. Wie sie in Tränen ausbrach. Wie sie die Hände vor die Augen schlug vor Angst, sie könnte die Nächste sein, der Christo die Schönheit wegballerte mit seiner Schrotflinte.
    Da schrumpfte Christo zusammen, wurde mit einem Mal klein und unbedeutend, ein Zwerg, dem kalter Schweiß auf der Stirn stand, dessen Beine kraftlos zitterten, ein Männlein, das sich aufs Gewehr stützen musste, um dann doch auf den grasbewachsenen Boden zu sacken. Nein, dachte er, nein, nein, das war ich nicht, nicht ich! Dann knallte es wie ein Schuss in seinem Kopf: Doch, das war ich! Und als er in sich ging, kam ihm die Erkenntnis, dass er so etwas noch vor zehn Jahren nicht hätte tun können. Seither aber hatte sich unmerklich, doch unwiderruflich etwas in ihm verändert, etwas, das ihn in Momenten der Aufwallung und des mutigen Ungestüms in die Nähe von Männern wie dem General brachte, Menschen, die er bisher verachtet hatte für ihre zynische Grausamkeit, ihre Arroganz und Skrupellosigkeit.
    Am Abend, nach wortkargem Beisammensein mit Toschev, ging Christo noch einmal vor die Tür, um an der kalten, aber frischen Luft die letzte Zigarre aufzurauchen. So ein tiefes Schwarz hatte die Nacht nirgendwo in Sofia. Der Himmel flackerte geradezu im weißen Feuer der großen, unglaublich nah wirkenden Sterne, und auch der Ruf der Zwergohreule hörte sich an, als säße das Tier ihm auf der Schulter. Das Heulen der Schakale ertastete die Grenzen der Trostlosigkeit.
    Auf einmal näherte sich ihm der Forstgehilfe, ein geradezu lumpig gekleideter Mann, der hier Mädchen für alles war. Sein verfilztes Haar war fettig, die buschigen, nicht geschnittenen Augenbrauen gaben seinem Gesicht einen mürrischen, aber lauernden Ausdruck. Als er ihm im Versuch, dem reichen Mann zu gefallen, schief zulächelte, entblößte er einen Blechzahn. Einladend und vertraulich rieb er sich die Hände.
    Â»Wollt noch gesagt haben, Herr Weltschev: Das, was Sie da … das war trächtig.«
    Â»Wovon sprechen Sie?«, erwiderte Christo schroff.
    Â»Na, das Reh, das Sie geschossen haben! Als wir das gehäutet und ausgenommen haben, da ha’m wir gesehen, es hatte ein Kitz im Leib. Eh, kriegen die Hunde auch was zu fressen …«
    Â»Verschwinde«, zischte Christo. »Mir aus den Augen! Mach, dass du Land gewinnst!«
3
    In der Luft lag der kohlensaure Hauch

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