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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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wie ein kopfloses Huhn.
    Auf einmal stand sie vor ihr, wie auf der Bühne, als Teilnehmerin an einem Casting, und sie war die, die sie zu begutachten hatte, ein bisschen das Äußere, ein bisschen mehr das, was in ihr steckte. Dida hatte eindeutig Ausstrahlung, nicht nur wegen ihres feuerroten Haars. Sie war schlank, aber nicht klapprig, sondern zäh und überlebensfähig. Ihre Überlegenheit über Jordan lag auf der Hand. Sie konnte ihn zermürben mit ihrer Schwäche, aber auch ihn mit der Kraft erfüllen, die einer braucht, um sich einzigartig fühlen zu können. Das war unbezahlbar für einen Mann, der in den Augen der kleinen Leute eine so verhängnisvoll große Bedeutung hatte, der so entsetzlich bekannt, so hoffnungslos berühmt war, weil er den Abend der Menschen mit seinem falschen Optimismus erfüllte, falsch, weil er im Grunde unfähig war, die Hoffnungen auch nur eines Einzigen von ihnen zu befriedigen.
    Schon in der ganzen letzten Zeit war Dessislava – ohne dass sie daraus Schlüsse gezogen hätte – aufgefallen, dass Dida rundlicher geworden war, zuerst an den Schenkeln, dann im Gesicht, das zugleich rosiger und lieber wurde, dann hoben sich ihre Brüste, sodass die Männer ganz kribbelig wurden. Schön war Dida ja immer gewesen, aber jetzt war sie begehrenswert, verführerisch, umso mehr, als sie völlig uninteressiert war an denen, deren Hormone ihretwegen im Dreieck tanzten.
    Â»Da solltest du nicht jammern, sondern dich freuen«, wiederholte Dessislava leise und mit untergründigem Neid.
    Â»Ich hab Angst«, flüsterte Dida verschämt zurück.
    Â»Vor Jordan? Weiß er es schon?«
    Â»Nein, vor seiner Tochter, dieser verfluchten Jana. Die wird sicher denken, ich wolle ihr so hinterlistig ihren Vater wegnehmen.«
    Auf einmal verstand Dessislava.
    Â»Mach dir keine Sorgen, ich werd’ mal mit dem Dickköpfchen reden.«
    Sie nahm vorsorglich zwei Baldrian, und als sie merkte, dass sich die Ruhe warm von ihrem Bauch aus in ihr ausbreitete, klopfte sie an Janas Zimmertür und trat ein.
    Jana war vor etwas mehr als einem Jahr in das Zimmer eingezogen, das nach Emilias Tod frei geworden war, und hatte es mit dem Duft nach Frau und nach jenem unsichtbaren Etwas erfüllt, das ohne Vorankündigung über uns hereinbricht und unsere Ruhe verwüstet. Jana hatte gerade ihren theoretischen Fahrunterricht hinter sich und lernte für die Prüfung. Sie saß auf dem Bett, umgeben von lauter Blättern mit den Fragen. An ihrem Kopfkissen lehnte eine noch halbvolle Suppenschale, drumherum lagen Wurstpellen, das Handy, das Jordan ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, eine kaputte Haarspange, und Büstenhalter und Slip, die sie gerade von der Leine genommen hatte. An einem Fuß trug sie einen Strumpf, der andere Strumpf ringelte sich auf dem Fußboden. Genau wie ich das gemacht habe, dachte Dessislava, aber warum ärgert mich das jetzt bei ihr?
    Â»Tantchen, siehst du nicht, dass ich büffle? Erst siebzehn Aufgaben, und schon zu viele Fehler …«
    Dessislava blaffte sie an, weil sie wusste, dass sie Jana erstmal aus ihrer Selbstbezogenheit, den Verschanzungen ihres Egoismus rausholen musste, bis sie überhaupt fähig war, ihr zuzuhören. Sie ging gleich auf ihr Ziel los und schloss ihre Tirade mit den Worten:
    Â»Begreif doch endlich, dass dein Vater dich liebhat und immer liebhatte!«
    Beim Reden war sie ganz blass geworden. Jana nahm die Schale, die am Kopfkissen lehnte, und aß sie leer.
    Â»Und kannst du mir auch sagen, wie ich das feststellen soll?«
    Â»Na, mit dem Herzen, Liebes.«
    Â»Er und diese Dida haben mein Herz doch in die Kühltruhe abgeschoben«, sagte Jana rachsüchtig. »Papa hat mich so easy mit dieser Vogelscheuche ersetzt, als wechselte er mal eben das Sakko, und jetzt ist Rotschopf auch noch deine beste Freundin …«
    Â»Du kannst nicht verlangen, dass er sein Leben lang allein bleibt.«
    Â»Und du, wie schaffst du das dann?«, fragte ihre Nichte kaltblütig.
    Â»Bei uns Frauen ist das ein bisschen anders. Männer können nicht allein, richtige jedenfalls!«
    Â»Mein Vater ist also ein richtiger Mann , willst du sagen?«
    Â»Ich will damit sagen, dass er unschuldig ist. Schau mal, deine Mutter hat sich mit einem Mann getroffen, der psychisch krank war. Sie war eng befreundet mit ihm. Und dieser Mann, der manchmal nicht

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