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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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habe wohl teure Lithos von ihnen auf Leinwand ziehen lassen. Eduard Toschev sah in diesem Haus nicht geborgen aus, sondern hineingestellt und vergessen, ein misslauniger Typ, der sich nicht austauschen wollte, der nicht hungrig war und keinen Durst hatte, der irgendwie gar nicht richtig anwesend war, sondern den Appetit der anderen und ihre Redseligkeit ertrug, so gut es ging. Nicht einmal die Zartheit des Hummerfleisches mit seinem dezenten Duft nach stehendem Meer lockte ihn aus der Reserve. Was Dessislava anging, so beruhte das Desinteresse, das Toschev zur Schau trug, auf Gegenseitigkeit: Dieser große Mann, der nur in die Luft greifen musste, um Geld zu machen, erschien ihr menschlich uninteressant. Ihre Aufmerksamkeit wurde ganz von seiner Frau angezogen, einer schwindelerregend schönen, aufregenden Frau, die aber in ihrem sündhaft teuren Parfüm eingemauert schien wie eine ägyptische Pharaonin in der Grabkammer einer Pyramide. Diese Frau nun war innerlich so aufgewühlt, dass sie keinen Satz zu Ende sprechen konnte, ohne sich zu verhaspeln oder Erklärungen vor lauter Unsicherheit einfach abzubrechen. Sie musste unter enormem emotionalen Druck stehen, und Dessislava war sich sicher, dass die Ursache dafür sich im Raum befand, irgendwo zwischen den ausgesprochenen Worten, den aufgetauten und in den Rauch teurer Zigarren eingehüllten Stücken Blaubeertorte.
    Da auf einmal kam sie drauf – nicht rational, sondern mit weiblicher Intuition und Empathie: Diese Mariana Ilieva war Christo hörig! Allein die Gesten: wie sie Christo den Hummer anreichte; wie sie ihm nachgoss mit einer Inbrunst, als wolle sie nie aufhören. Ja, sie liebte Christo und war unfähig, es zu verbergen! Es war seine Nähe, die sie so wehrlos und unbeholfen machte. Nur starke, aufrichtige und alles andere überwältigende Gefühle waren in der Lage, einen Menschen so unsicher zu machen. Denn Mariana war eine kluge, erfahrene Frau, seelisch keineswegs unreif; und doch benahm sie sich wie eine Schülerin, die für ihren Französischlehrer schwärmte. Mit feucht glänzenden Augen warf sie grenzenlos bewundernde Blicke auf Christo; unterdrückte Seufzer, sogar ihr Lachen verriet jene Atemnot, die irgendwo zwischen Euphorie und Hysterie einsetzt.
    Was Dessislava aber am meisten erstaunte, war, dass Marianas hündische Gefallsucht gegenüber Christo ihr nicht etwa gleichgültig war, und sie auch nicht mit Mitgefühl oder gar Sympathie erfüllte, sondern derart ärgerte, dass sie trotz der auf Hochtouren laufenden Klimaanlage vor innerer Rage ständig schwitzte. Christo musste entweder blind sein, dachte sie konsterniert, oder er ist die Anbetung dieser Frau gewöhnt. Dieser Gedanke entsetzte sie. Ihr kam es so vor, als verlöre sie etwas irrsinnig Wichtiges, Einzigartiges in ihrem Leben, weil jemand sich ohne Einladung in ihrer Seele eingenistet hatte und diese leerräumte wie eine Wohnung. Da schaute sie sich endlich auch Eduard Toschev einmal genauer an. Sein Gesicht verriet jedoch nichts außer kühler Höflichkeit, gerade genug, um noch als Gastfreundlichkeit durchgehen zu können.
    Â»Frau Weltscheva«, sagte er leise und seltsam verträumt, »nehmen Sie sich doch noch von dem Seebarsch, den müssen Sie unbedingt kosten.«
8
    Der Mond beschien den von Skulpturen gesäumten Kiesweg. Sie standen allein in der abgekühlten Luft. Schwiegen. Einer der Leibwächter fuhr Christos Audi heran zu dem antikisierenden Springbrunnen, der als Blickpunkt vor dem Treppenaufgang zu Eduard Toschevs Haus stand.
    Â»Fahr mich zu dir«, sagte Dessislava zu ihrer eigenen Überraschung.
    Â»Du möchtest, dass wir zu mir nach Hause …?«
    Christo konnte seine Aufgewühltheit nicht verhehlen.
    Â»Ich denke schon.«
    Â»Himmelherrgott«, stöhnte er, »ich hätte nie den Mut gehabt, dich einzuladen.«
    Â»Stimmt, das hast du nie getan. Und warum?«
    Â»Ich hatte Angst, was du da siehst, könnte dich enttäuschen.«
    Nach diesem Wortwechsel hatte das Schweigen nicht mehr die Einträchtigkeit von vorher. Die zweideutigen Untertöne des Gesagten hatten sie verunsichert. Dessislava selbst war sprachlos über den Vorschlag, den sie da wie unter innerem Diktat gemacht hatte. Gleichzeitig aber folterte sie das unabweisbare Bedürfnis, noch mit Christo zusammenzubleiben, zu was auch immer, sei es, um zu hören, welches seine

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