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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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zurechnungsfähig war, hat auf der Abfahrt vom Witoscha in einer Serpentine einen Unfall verursacht und ist mit seinem Wagen gegen einen Laternenmast geprallt. Auch daran ist dein Vater vollkommen unschuldig, das solltest du einfach mal akzeptieren. Er hat deine Mutter geliebt und litt darunter, dass Neda ihn mit Kälte und Verachtung gestraft hat. Und sie wiederum hat das getan, weil er so berühmt war, dass er nur immer für alle und nie für sie oder für sich da war.« Dessislava holte tief Luft, dann fuhr sie in leisem Ton fort: »Wenn du aufrichtig bist und einen Funken Gerechtigkeit aufbringst, dann musst du zugeben, dass dein Vater ebenfalls Leidtragender war. Ein paar Jahre lang war er vollkommen außer sich, und wenn er sich nicht ans Fernsehen geklammert hätte, und – ja – und wenn Dida nicht aufgetaucht wäre, dann hätte er entweder durchgedreht oder hätte sich total aufgegeben.«
    Hier hielt sie einfach inne und schwieg. Sie hatte vielleicht schon zu viel gesagt; aber immerhin hatte sie »die Kleine« endlich einmal über die wahren Umstände des Todes ihrer Mutter aufgeklärt, diese bei aller Tragik triviale Katastrophe, die ihr aller Leben auf den Kopf gestellt hatte. Sie hob den Strumpf vom Boden auf, war einen Moment verwundert, dass Jana kein Strickzeug in Händen hielt, und streifte ihn ihr über den nackten Fuß.
    Â»Du hast mich gekilllt«, sagte Jana erbarmungslos, »und mein armes Seelchen mit Dreck beworfen.«
    Â»Es war an der Zeit, dass endlich mal einer mit dir redet wie mit einer Erwachsenen .«
    Â»Du hast mir die ganze Tour vermasselt. Seit ich die Mensis gekriegt hab, hatte ich mir in den Kopf gesetzt …«
    Â»Tut mir leid, wenn ich dir die Tour vermasselt oder dich verletzt habe, aber Daniela hat das Recht auf ein eigenes Kind. Ist doch wundervoll, dass du bald ein kleines Brüderchen oder Schwesterchen kriegst. Lenkt uns alle mal ein bisschen von unserem eigenen Bauchnabel ab.«
    Totenstille.
    Â»Dann ist die Zeit also gekommen«, fing Jana plötzlich wieder an.
    Â»Die Zeit wofür?«
    Â»Ich muss es also wirklich tun?« Janas Stimme kam wie aus einem schmerzlichen Traum.
    Â»Was musst du wirklich tun?«
    Â»Na, mich freuen. Kannst dieser Vogelscheuche sagen, ich geh dann auch mit ihrem kleinen Hosenscheißerchen in den Zoo, Affen gucken, wie du früher mit mir. Kann natürlich sein, dass die Leute dann mich für die Mutter halten, hehe.«
    Mit den letzten Worten zog sie sich den rechten Strumpf wieder vom Fuß und schmiss ihn auf den Schreibtisch. Dann rutschte sie auf den Boden, biss sich auf die Lippen und heulte mit jener Untröstlichkeit los, zu der nur Menschen fähig sind, die vor nichts zurückschrecken. Ihre Tränen galten niemandem; sie waren einfach nur reinigend.
6
    Â»Endlich wirst du also meinen Kompagnon mal aus der Nähe kennenlernen«, sagte Christo.
    Â»Eduard Toschev? Weißt du, was für schlimme Sachen über den geschrieben werden«, antwortete Dessislava reserviert. »Er wird ›Oligarch‹ genannt und ›Casino-König‹. Man liest dauernd dergleichen über ihn.«
    Â»Wo steht das?«
    Â»Na, in der Zeitung.«
    Â»In der Regenbogenpresse vielleicht …«
    Â»Nein, in allen!«
    Dessislava verbarg nicht, dass sie lieber zu Hause bleiben würde.
    Â»Und du glaubst, was die da schreiben? Über mich schreiben die ja auch frech, ich hätte eine halbe Milliarde Dollar, und dass ich schwul wäre.«
    Â»Ja, das ist wirklich fies: zu sagen, du seist homosexuell, nur weil du keine Frau hast. Und so ungeheuer viel Geld kannst du ja auch gar nicht haben.«
    Christo zuckte bei den letzten Worten Dessislavas zusammen, versuchte, die Sache ins Scherzhafte umzubiegen.
    Â»In der Tat: Ich bin nicht ganz so schwul und nicht ganz so reich, wie die schreiben!«
    Dessislava lachte nervös und ging hinaus. Er wartete, bis sie sich zurechtgemacht hatte, im düsteren und – wie er erst jetzt sah – regelrecht geplünderten Wohnzimmer der Familie Assen Weltschevs auf der Ljuben-Karawelov-Straße, in der Dessislava aufgewachsen war. Alles, was hier noch herumstand oder -lag, war nicht in Würde gealtert und von der Patina der Zeit überzogen, sondern schlicht abgenutzt im höchst banalen Alltagsleben frustrierter Menschen, die gerade so über die Runden kamen und keine Zeit und kein Geld

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