Seelenasche
goutierte. »Schauen Sie, wenn ein Freund dem anderen für etwas dankbar ist, dann zeigt das, dass er Herz hat; wenn Sie in der StraÃenbahn für alte Leute aufstehen, damit das später mal andere für Sie tun, ist das eine Frage der guten Erziehung; aber im Geschäftsleben? Im Geschäftsleben ist Dankbarkeit unnatürlich, nutzlos und manchmal sogar gefährlich.«
Er stand auf, stocherte mit dem Schürhaken im Kamin, damit die Scheite gut ausbrannten, dann hielt er seine Hände gegen die Flammen, um sie zu wärmen. Der Widerschein der Flammen huschte über sein Gesicht. Mit der Ofenzange griff er sich ein glühendes Stückchen Holzkohle und entzündete damit eine Zigarre. Noch paffend sagte er:
»Aber Sie wollten doch nicht deswegen unter vier Augen mit mir reden, Herr Weltschev, stimmtâs oder hab ich recht? Na kommen Sie, geben Sie sich einen Ruck.«
Christo fühlte sich durchschaut. Um seine Verlegenheit zu verbergen, griff er ebenfalls nach einer Zigarre. Da er nichts gegessen hatte, machte der Rauch ihn schwindlig. Es war, das fühlte er, zwecklos, Toschev zu belügen. AuÃerdem wusste er, dass Toschev der einzige Mensch war, der das reelle Potenzial und die Macht hatte, ihm zu helfen. Also erzählte er ihm die ganze Sache mit General Grigorov, angefangen von jenem Nachmittag, an dem er aus der Klasse ins Zimmer des Schuldirektors gerufen worden war, über die Jahre der Denunziantenberichte und ihre Ãbergabe an Petrov in der Wohnung in der BiglastraÃe, dann die Sache mit der insgeheim vom bulgarischen Staat als Mehrheitsgesellschafter geführten SOUND & SOFTWARE COMPACT GmbH, die deutlich unter Preis verkauft wurde, damit er an Startkapital kam â und schlieÃlich, dass er seit Jahren treu und redlich diesem allmächtigen, aber unsichtbaren General zwanzig Prozent seiner Gewinne übewies und nun der Meinung war, so langsam müsste er aber mal quitt sein mit der grauen Eminenz der ehemaligen Staatssicherheit.
Als er sich alles von der Seele geredet hatte, schwieg er. Der Whisky auf leeren Magen, die Zigarre, die schwindelerregenden Dinge, über die sie redeten â er fühlte sich betrunken. Er schloss mit den Worten:
»Verstehen Sie mich recht, Herr Toschev, es geht mir nicht ums Geld!«
»Das ist mir schon klar«, erwiderte dieser.
»Auch wenn es um viel, um sehr viel Geld geht.«
»Ich weiÃ.«
»Es geht mir noch nicht mal um Gerechtigkeit.«
»Vermutlich.«
»Obwohl ich mich nicht nur beraubt, sondern erniedrigt fühle.«
»Sicherlich.«
»Ich kann diese erzwungene Unterwerfung einfach nicht mehr ertragen. Die erstickt mich, macht mich wahnsinnig. Ich hab nur deswegen heute früh ein wehrloses Reh abgeknallt, mit Hasenschrot.«
»Ich fange an, zu verstehen«, sagte Eduard Toschev bedächtig, wandte seinen Blick langsam vom Kaminfeuer ab und lieà ihn auf Christo ruhen, »denn das kenne ich gut. Ihr Bedürfnis nach Unantastbarkeit wird dadurch permanent gedemütigt. Meinen Sie, mir würde unser lieber General nicht auf die Nerven gehen? Tut so, als würde er allen Ernstes an die gerechte Sache glauben, für die er bei uns Almosen sammelt, für dieses längst tote Heilige sozialistische Reich bulgarischer Nation , und dabei füttert er nichts als seinen narzisstischen GröÃenwahn, so was wie Gott auf Erden zu sein. Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich habe ihm einige unschätzbare Dienste erwiesen, und wenn ich sage: unschätzbar, dann meine ich das auch. Der General steht in meiner Schuld, tief in meiner Schuld, und zwar für immer. Und was Sie betrifft, meine ich: Sie haben Ihre Schuld in der Tat mehr als beglichen. Hören Sie einfach auf zu zahlen und sagen Sie sich: Ab sofort bin ich ein freier Mann!«
»Aber der General wird schäumen vor Wut.«
»Sicher wird er das«, lächelte Eduard Toschev zwielichtig, »aber wenn er Sie mit seiner Unersättlichkeit doch ständig daran hindert, in Ihrer Freiheit mit Gott gleichzuziehen â¦Â«
4
Am darauffolgenden Abend klingelte sein Mobiltelefon fordernd, geradezu herrisch. Er war gerade mit Dessislava im Armeetheater zu einer Vorstellung der Glasmenagerie von Tennessee Williams. Verärgert machte er sich mitsamt des Volkslied-Klingeltons Da ich ein Schäfer war auf dem Weg zur Toilette mit ihrer urinschwangeren Bahnhofsatmosphäre. Die Männer, die vor den
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