Seelenasche
hatten, in den Kategorien von Dauerhaftigkeit, Solidität und Würde zu denken. Christo spürte, wie ihm der Schweià ausbrach. Da kam Dessislava wieder herein, schöner und unerreichbarer denn je. Sie hatte sich elegant, aber »gewagt« angezogen mit einem enganliegenden, altrosafarbenen Seidenrock und einer Seidenbluse, die so weit aufgeknöpft war, dass man sehen konnte, dass sie keinen Büstenhalter trug. Ihre ganze Ausstrahlung changierte zwischen naiver Unschuldsmiene und jenem Sexappeal, den nur eine Frau haben kann, der es nicht im Traum einfiele, Männer aufzureiÃen. In ihren Augen flackerte jene »vielversprechende« Unsicherheit, die beim starken Geschlecht Beschützerinstinkte auslöst.
»Wenn schon, dann will ich deinem Geschäftspartner wenigstens gefallen. Was sagst du?«
»Grandios«, platzte es aus Christo heraus. »Bin schon eifersüchtig.«
Als sie auf die StraÃe traten, schlug ihnen von den Gehsteigplatten ein Geruch nach nassem Steinstaub entgegen. An der Ecke zur Graf-Ignatiev-StraÃe, wo Christo seinen Audi geparkt hatte, kam das klatschende Geräusch nackter FüÃe näher. Es war, als habe jemand in der Eile, ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen, vergessen, seine Schuhe anzuziehen. Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Mann vor ihnen, sichtlich in groÃer Angst. Er war kleinwüchsig, wirkte unfreiwillig komisch mit seinem Trommelbauch und seinem clownesken Haarkranz um die kahle Schädeldecke, und war auch oberhalb seiner FüÃe vollkommen nackt. Das Blutdruckmessgerät, das um sein Armgelenk geschnallt war, maà den Grad einer unnennbaren Obszönität. Der Mann musste ein gutes Stück gerannt sein, denn er atmete schwer und heftig. Er hatte sich Wunden gelaufen.
»Wie lange laufe ich schon?«, fragte er Christo und Dessislava. »Und wo kann ich mich verstecken?«
»Das weià ich nicht«, antwortete Christo verdattert.
»Ich habe auch keine Ahnung, wo Sie sich hier verstecken könnten«, ergänzte Dessislava erschrocken.
Er schaute sich ängstlich um, dabei verströmte er scharfen SchweiÃgeruch. Dann schaltete er sein Blutdruckmessgerät ein, das surrend seine Arbeit aufnahm. Dem Paar wurde es peinlich.
»Helfen Sie mir«, rief der Mann aus und fuhr sich mit der Hand über seine behaarte Brust. »Ich werde überwacht.«
»Aber von wem denn?«
»Wie â von wem? Na, von den Offizieren! Sie sind überall.«
»Welche Offiziere?«, fragte Dessislava, einer Ohnmacht nahe.
»Die ewigen Offiziere, die immer wiederkommen, wenn man versucht, sie einzusperren, genau die! Hören Sie nicht, wie sie mich rufen?«
Der Mann kratzte sich selbstvergessen zwischen den Beinen, gab einen Schreckenslaut von sich und stürzte davon.
»Gott, lauter Verrückte«, schüttelte Christo den Kopf.
»Und was sind wir?«, fragte Dessislava und lieà einen Zwei-Leva-Schein am Ort dieser unverhofften Begegnung mit dem wahren Wahn fallen, damit jemand sie fände, der nicht wusste, wovon er an diesem Abend satt werden sollte.
7
Der Riesenschnauzer mit den hängenden Lefzen und dem silbrigen Fell überraschte sie ebenso wenig wie das Vorhandensein eines Swimmingpools im Untergeschoss des Hauses, der Springbrunnen, der im Esszimmer plätscherte, nicht einmal die suggestive Schönheit der Ehefrau Eduard Toschevs, die sich mit Mariana Ilieva vorstellte. Was sie eher erstaunte, war das Fehlen jeglichen Selbstbewusstseins bei dieser Frau, die Christo so ängstlich und schreckhaft anschaute, als ob sie â so dachte Dessislava â die heimliche Geliebte Christos sei und befürchte, ihr Mann könne sie entdecken.
Das Haus war riesig, aber Dessislava konnte nicht erkennen, dass aus dem verfügbaren Raum so etwas wie eine Wohnung geworden wäre; nein, diese Weitläufigkeit war unhäuslich, groÃspurig und ⦠kalt. Die Kanapees waren ungemütlich, auf dem mit feinstem weiÃen Leder bezogenen Designersessel konnte man gar nicht richtig sitzen, die Vitrinenschränke gingen in Spiegel über, die bloà Leere verdoppelten, kühle Makellosigkeit. Nichts als sündhaft teure Einzelstücke, die kein Ganzes ergaben. Die Antikenkollektion Toschevs bestand aus altgriechischen Vasen und TrinkgefäÃen, thrakischen Bronzefiguren und Trinkhörnern. Die Gemälde waren von alten Meistern, sodass man meinte, der Hausherr
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