Seelenasche
Nachtisch die Karamelcreme aus dem Ofen holte, hob sie noch einmal das Glas auf die Verlobten: »Möget ihr glücklich miteinander sein!« Gergina bedankte sich artig für den guten Wunsch.
Krum wusch sich die Finger, reckte sich noch einmal, dann holte er seinen guten Anzug und die schwarze Krawatte mit dem goldenen Anker aus dem Schrank und machte sich fein. Um zehn Uhr betrat er die Geschäftsräume Pawel Tscholevs, unterschrieb ohne viel Federlesens den Vertrag über den Verkauf der Porzellan- und Keramikfabrik Widin, aber â wie vereinbart â in Kraft tretend erst in vierzehn Tagen, und packte die sechzigtausend Euro in das alte Lederköfferchen mit dem kaputten Zahlenschloss, dessen Kunstleder alle Anzeichen der Ungeduld seines Vaters trug. Tscholev konnte sich, als er Krum hinausgeleitete, nicht verkneifen, mit spöttischem Grinsen und gespielter Besorgnis noch einmal zu fragen: »Wer war bloà dieser Irre, der deine Todesanzeige in der ganzen Stadt angepappt und mit dem Entsetzen Scherz getrieben hat?«
DrauÃen hatte der Nebel die Stadt in Besitz genommen. Die Donau war verschwunden, nur der sumpfige Geruch langsam flieÃenden Wassers kündete von ihrer Nähe. Krum stapfte über die HauptstraÃe, ging zum Marktplatz und betrat die Sparkassenzentrale. Dort hob er die Monatslöhne der Fabrikarbeiter und seine eigenen Ersparnisse ab, tauschte an einem anderen Schalter die bulgarischen Leva gegen viertausendfünfhundert Euro, tat sie zu dem anderen Geld ins Köfferchen und setzte seinen Weg fort, als sei er ein Vertreter, der mit dem Musterköfferchen unterwegs war. Er passierte das Kriegsgefallenendenkmal, den Festungsturm Kale, kam auf der Hinterseite des Markts heraus, wo es nach Trauben und Maische roch, und betrat ein baufälliges Haus, neben dessen Eingang ein uraltes Schild mit der Aufschrift »Anwaltskanzlei Schuschulkov & Cie.« hing.
Im düsteren Treppenhaus herrschte geheimnisvolle Stille. Es roch muffig nach »anno dazumal« und muffigem Papier, nach Schimmel und vergessenen Blumen. Hier schien seit Tagen niemand mehr hereingekommen zu sein, nur Schuschulkov war offenbar mit seinem Schreibtisch verwachsen. Seine Augen hatten die Blässe der Weisheit angenommen, als wären die kräftigen Farbpigmente schon auf dem Weg ins Jenseits. Seine Haut war staubtrocken. Er glich einem mumifizierten Rieseninsekt, das mit der Stecknadel der Zeit im Kasten seiner Kanzlei aufgespieÃt war. Vor ihm lag ein aufgeschlagener Terminkalender und der Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas. So wie Krum überrascht war, dass die Mumie sich plötzlich regte, so war Schuschulkov überrascht, dass jemand seine Kanzlei aufsuchte â und drückte auf den Schalter für den Ventilator an der Decke, ein Modell, das vor über dreiÃig Jahren in der Sowjetunion hergestellt worden war. Als der Propeller sich ratternd in Bewegung setzte, hatte Krum den Eindruck, ein plötzlicher Lichtstrahl falle in den Raum und spiele auf der Spinnenharfe, die ein fleiÃiges Tierchen zwischen feuersicherem Safe und Wand gewebt hatte.
»Oh, Herr Marijkin«, rief Schuschulkov aus, »welch angenehme Ãberraschung! Wie komme ich zu der Ehre?«
»Sie sind der einzige Mensch in dieser Stadt«, antwortete Krum laut, um das Geräusch des Ventilators zu übertönen, »dem ich mich anvertrauen kann.«
»Sie sprechen ein wahres Wort gelassen aus. Freue mich, es zu hören.«
»Und ich, es aussprechen zu dürfen.«
Krum drehte an den Rädchen des heil gebliebenen Zahlenschlosses, der Koffer auf seinen Knien sprang auf.
»Herr im Himmel! Na, das nennt man Geld!«
»Sogar viel Geld«, überschrie Krum den Ventilator und die Schwerhörigkeit des alten Rechtsanwalts und nickte zum Safe mit dem löwenförmigen Messingplättchen vor dem Schlüsselloch. »So viel und so ungeschützt, dass Sie es unbedingt in Gewahrsam nehmen müssen.«
»Für Sie bin ich zu allem bereit! Ich möchte mir jedoch erlauben zu fragen, was es auf sich hat mit diesen ausländischen Banknoten?«
Krum stand auf und schaltete den Ventilator ab, damit er in normaler Lautstärke sprechen konnte. Dann gab er knapp Auskunft, was geschehen war, und erläuterte dem alten Anwalt im Kern, was er vorhatte.
»Sie sind ja verrückt«, entfuhr es Schuschulkov. »Lapsus Linguae, Sie sind absolut und vollkommen von
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