Seelenasche
gelernt.«
»Und ich freue mich, dass du dich doch noch für die vernünftigere und vor allem: gesündere Alternative entschieden hast. Ich werdâ also mal in deiner Sache mit Bate Boris reden. Aber ich warne dich! Der hasst drei Dinge: feines Porzellan, dicke Bücher, und dass man ihm Bedingungen stellt.«
»Eben, und mit dem Porzellan hier soll ja nun Schluss sein, und ein Monat ist noch kein dickes Buch. Ich schalte den Brennofen noch heute ab.«
»Ja schau, das hört sich doch schon ganz anders an.« Tscholev machte ein Brummgeräusch, als würde er nachdenken. »Deine Fabrik da, die könnte man auch in gut zwei Wochen auseinandernehmen. Warum schaust du nicht heute mal bei mir rein auf ein Gläschen Whisky, kannst dann auch gleich deine Scheinchen abholen, damit deine Mami was zum Bügeln bekommt. Also vergiss nicht, ein Beutelchen fürs Bare einzustecken, und: Pass gut auf dich auf, Freundchen!«
»Ginge es nicht, dass ich wenigstens so drei Wochen kriege?«
»Ich sagte: zwei Wochen.«
Tscholevs Taktik des leichten Entgegenkommens bei grundsätzlicher Unnachgiebigkeit kam daher, dass er wusste: Krum war zwar auf der einen Seite störrisch wie sein alter Herr, auf der anderen Seite aber intelligenter als dieser. Und aus Erfahrung wusste er, dass blinder Heldenmut oft mit Dummheit gepaart ist, während Weitsicht und Intelligenz den Menschen in der Regel ängstlich machen.
»Gut«, lenkte Krum ein, »zwei Wochen!«
Er seufzte, drückte auf die Taste mit dem kleinen roten Hörersymbol und steckte sein Mobiltelefon wieder in die Tasche. Er schämte sich, Gergina Weleva in die Augen zu schauen, die das ganze Gespräch mit angehört und dabei wie erstarrt auf den leeren, unnötigen, aber feuersicheren Safe geschaut hatte. Ihr Schweigen wirkte so undurchdringlich wie eine dicke Mauer. Dann sagte sie:
»Sie haben richtig gehandelt, Krum. Sie hatten ja keine Wahl, aber â¦Â«
»Was â âºaberâ¹?«
»Ich arbeite seit sechzehn Jahren in dieser Fabrik.« Wieder Tränen und Schluchzen, wieder löste sich ihre Hässlichkeit in feuchten Schimmer auf. »Hab direkt nach dem Diplom in Sofia hier angefangen, meine erste Stelle.«
Aus Gerginas Worten war kein Vorwurf herauszuhören. Es waren einfach nur die Worte eines Menschen, der seine Bestimmung, sich selbst, seinen Platz in der Welt verlor.
»Nur Ruhe, werdâ mir schon was ausdenken, muss doch eine Rettung geben. Ich bin ja allein, ohne Kind und Kegel, wie man so sagt, und kann was riskieren.«
»Genau wie ich.«
»Genau wie Sie? Ach ja, entschuldigen Sie. Warum haben Sie denn nie geheiratet, Fräulein Weleva?«
»Ich liebe nun mal keine lauten Vergnügungen, bin nie in Diskotheken, Tanzlokale und auf laute Partys gegangen, nur ab und zu mal ins Theater. Können Sie mir sagen, wer so eine querköpfige Spielverderberin heiraten will?«
»Na, ich!«, antwortete Krum spontan und ohne groà zu überlegen, genau wie es vor vier Jahrzehnten sein Vater getan hatte, als im Untersuchungsgefängnis Zonjo Metschkarski, der Vater Newenas, gefragt hatte, wer wohl eine so hässliche Frau wie seine Tochter heiraten würde. Gergina Weleva schien unter dieser knappen Antwort zu taumeln, als hätte Krum sie geohrfeigt. Dann musste sie zwei Knöpfe ihrer Bluse öffnen, um nicht zu ersticken.
»Das gehört sich aber gar nicht, Herr Marijkin, und macht Ihnen keine Ehre, sich so über mich lustig zu machen.«
»Ich mache mich nicht lustig über Sie«, erwiderte Krum störrisch wie sein Vater, und wie dieser erfüllt von einer jubelnden Begeisterung angesichts dieser restlosen Opferbereitschaft und Fügung ins Unvermeidliche. »Noch heute Abend stelle ich Sie meiner Mutter vor, und dann können wir sofort ⦠Na, Sie habenâs ja mit angehört: Wir haben zwei Wochen Zeit bekommen, zu heiraten!«
15
Gergina Weleva wohnte in Widins Plattenbauviertel, das vor über dreiÃig Jahren im sozialistischen Aufbauoptimismus für die Arbeiter der damals neuen Chemiewerke hochgezogen worden war. Heute war dieses heruntergekommene Viertel fast verlassen. Von den meist zwanzig Wohnungen eines Wohnblocks waren kaum noch zwei oder drei bewohnt, und das waren überwiegend alte Leute, die nirgendwo mehr hinkonnten oder hinwollten. Die Ãbrigen waren entweder aufs Dorf zurückgekehrt, wenn
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