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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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sexuelle Vorstellung bei Dessislava nach so vielen Jahren, in denen er von dem Moment ihrer Verschmelzung geträumt hatte. Was hatte er in Dessislavas verliebt-verschleiertem Blick gelesen? Den Schmerz der Hingabe nach all den Jahren der Verdrängung, der Vertagung, und einer Erschöpfung, wie sie nur die unglückliche, die übermenschliche Liebe bewirken kann? Oder war es mehr die panische Angst, das entsetzliche Schamgefühl, dass sie nicht mehr jene Nixe war, die einst auf der Klippe am Meer gelegen hatte? Oder war es das verständnislose Suchen nach dem, was sie all die Jahre daran gehindert hatte, ihre wahren Gefühle zu erkennen? Er wusste nur, dass er sich von diesen ihren Augen hätte losreißen, sich ganz auf ihre Brüste konzentrieren müssen, darauf, den goldenen Griff zu finden, durch den es unter Dessislavas blondem Vlies zündete … Doch er konnte nicht einmal das, sondern fuhr fort, in ihrem Blick zu ertrinken, vergaß sich darin, ebenso hilflos wie sie, die gegenseitige Anbetung in süße Lust zu verwandeln. Er erwachte aus diesen »Albträumen« schweißgebadet und hielt einfach still unter seinem seidenen Bettzeug, um sich nicht an der eigenen Scham zu schneiden.
    Eines schönen Herbstsamstags ging er im Internet auf die Suche und wählte das luxuriöseste Bordell aus, das er fand. Das freudenspendende Haus befand sich auf dem Panoramaweg zwischen Simeonowo und Dragalevzi, wurde unter reichen Playboys empfohlen und hatte zur Abwehr niederen Publikums Preise, die an Schutzzölle erinnerten. Der Kontakthof war in klassischem Bordeauxrot und nur mit gedämpftem Licht erhellt, aus den Lautsprechern stöhnten die Stimmen von Serge Gainsbourg und Jane Birkin »je t’aime … moi non plus«, die wenigen anwesenden Männer saßen im Halbkreis um die zwei Stangen für die Striptease-Tänzerinnen und tranken etwas, und im Lichtkegel der auf diese Stangen gerichteten Lampen machten gertenschlanke junge Frauen ihre Drehungen und lasziven Verrenkungen. Christo aber wurde auf seinen Wunsch vom Piccolo ins Obergeschoss geführt, wo schwere Kristallleuchter im Durchzug bimmelten. An den Wänden hingen Reproduktionen der späten erotischen Gemälde und Zeichnungen Picassos, die Möbel waren mit altrosafarbenem Plüsch gepolstert und mit Blattgold überzogen. In diesem Saal nahm ihn »Madame« mit blasiertem Lächeln und lila gefärbtem, toupiertem Haar in Empfang. Auf ihrer Brust prangte ein Collier und um ihr Handgelenk ein Armband mit künstlichen Diamanten. Die Mädchen, die sie ihm auf professionell gemachten Fotos anbot, waren grazil und von umwerfender Schönheit. Die jüngeren waren Studentinnen, die reiferen vom Typ erfolgreiche Geschäftsfrau mit Ausstrahlung. Christo entschied sich für eine Brünette, die ihn mit einer Mischung aus Scheu und Schmollen unter den Augenbrauen anschaute und entfernt an Dessislava erinnerte. Mit der wollte er herausfinden, ob er »noch Mann war« bei einer Frau vom Schlage seiner großen Liebe. Als er bezahlt hatte, fragte Madame mit gurrender Stimme:
    Â»Wenn Sie das Mädchen für die ganze Woche mieten, warum nehmen Sie sie dann nicht mit zu sich nach Hause und lassen sich von ihr verwöhnen, mein Herr?«
    Â»Ich verreise morgen«, log Christo unbeholfen.
    Â»Dann lassen Sie mich Ihnen sagen: Das Fräulein ist bezaubernd, aber auch sensibel und manchmal störrisch. Sie müssen ihr Zeit geben, sich an Sie zu gewöhnen.«
    Er wurde ins Zimmer geführt. Drinnen roch es nach frisch gestärkter Bettwäsche und teurem Parfüm mit herber Note. Es war ebenfalls im Stile »baroque royal« eingerichtet: roter Plüsch, Blattgold, geschwungene Formen. Auf dem Tischchen standen eine Flasche Whisky für ihn und eine Flasche Champagner für das Mädchen, Gläser. Nach einer Minute klopfte es. Die junge Frau, die eintrat, trug ein elegantes Kostüm und Schuhe wie für einen gehobenen gesellschaftlichen Anlass. Um ihren Nacken lag eine Perlenkette. Sie war spürbar aufgeregt.
    Â»Guten Abend«, sagte Christo so cool und relaxed wie möglich, obwohl er hochgradig unter Spannung stand.
    Â»Guten Abend«, erwiderte das schöne Reh seinen Gruß kaum hörbar. Sie ging als Erstes zum Tischchen, goss ihm Whisky, sich selbst Champagner ein, reichte ihm sein Glas, hielt ihm ihres zum Anstoßen hin. Nachdem sie beide von

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