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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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sie dort noch einen Hof hatten, oder sie hatten sich ins ungastliche Europa aufgemacht, um dort Arbeit zu finden. Die Grünflächen zwischen den Betonklötzen wurden schon lange nicht mehr gepflegt und glichen Wildwiesen, die hemmungslos als Müllkippen für Plastikbeutel, Verpackungen und Bauschutt zweckentfremdet wurden. Die Außentüren zu den Treppenhäusern waren aufgebrochen, und von den Briefkästen bis zu den leerstehenden Wohnungen war alles geraubt, was nicht niet- und nagelfest, aber als Wertstoff gegen Bares loszuschlagen war.
    In der herbstlichen Abenddämmerung wirkte das Viertel wie eine Geisterstadt. Krum fuhr ein Schauer über den Rücken, denn hierhin kam er sonst nie. Zwei Frauen saßen auf einem ehemaligen Spielplatz zwischen rostigen Klettergerüsten und kochten auf offenem Feuer in riesigen Töpfen Kompott ein. Sie schienen die einzigen Lebewesen weit und breit zu sein. Die unter den Töpfen hervorleckenden Flammen erleuchteten ihre Gesichter, die denen von alten Indianersquaws in der Prärie glichen und unbarmherzig von der Kürze des menschlichen Lebens kündeten.
    Die Treppenhausbeleuchtung war, vermutlich um Strom zu sparen, abgeschaltet, desgleichen der Aufzug. Krum hastete die Treppenstufen zur vierten Etage hoch, denn er hatte sich verspätet. Schnaufend, eilig drückte er den Klingelknopf, ein rasselnder Ton folgte. Ein Dorn des prachtvollen Straußes dunkelroter Rosen hatte sich durch das edle Einschlagpapier gebohrt und pikste ihn in die Hand. Nach einer Weile hörte er, wie sich in der Stille hinter der mit brauner Feuerschutzfarbe gestrichenen Sicherheitstür etwas regte. Das Geräusch schlurfender, für ihren Träger hörbar viel zu großer Pantoffeln. Dann der Moment, in dem man das Auge hinter dem Spion fühlt, das zu erkennen versucht, wer da vor der Tür steht. Aber wie sollte das gehen, wo es im Treppenhaus doch dunkel war, und die Flurbeleuchtung defekt? Schließlich ging die Stahltür quietschend auf, und das Licht aus der Wohnung besprengte Krums Gesicht wie Wasser. Er zwinkerte einige Male.
    Â»Sie?«
    Â»Ja, ich«, bestätigte Krum. »Ich hatte es ja versprochen, nicht?«
    Â»Sie sind also wirklich gekommen?«
    Sie seufzte so heftig, dass es in den Rosen raschelte. Da entsann er sich und überreichte ihr den Strauß. Gerginas Gesicht aber hellte sich nicht auf. Dieses Gesicht hegte noch so seine Zweifel, ob das hier wirklich das war, wonach es aussah, oder ob es wieder nur war, was es immer gewesen war. Aber die Augen in diesem Gesicht waren schon feucht, und sie waren wundervoll, haselnussbraun, geblendet von der Schönheit des Mannes im Türrahmen. Sie hat geweint, dachte Krum, wegen mir geweint. Wie konnte ich mich nur verspäten? Erst dann sah er, dass sie ein weites, schwarzes Kleid trug, das durchaus für offizielle Anlässe taugte, aber mehr für solche der traurigen Art. Das weiße Doppelschleifchen am Kragen fiel auf ihre Brust herab und hob und senkte sich mit ihr.
    Â»Ich … was jetzt?«, fragte sie verwirrt. »Kommen Sie doch herein, ich habe Kaffee gekocht.«
    Â»Mutter erwartet uns«, erwiderte Krum verlegen. »Sie sollen mal sehen, was die für einen Hasen gebraten hat, Hase nach Jägerart.«
    Gergina streifte schweigend ihre Riesenpantoffeln ab, und Krum bemerkte, dass sie feine Fesseln und einen recht kleinen, schön geformten Fuß hatte. Sie schlüpfte in ihre Schuhe, und schon war sie neben ihm im Treppenhaus und hatte lange damit zu tun, die beiden Schlösser ihrer Sicherheitstür zu verriegeln.
    Als sie ins Freie traten, seufzten beide auf. Gergina grüßte verschämt die beiden alten, Kompott einkochenden Frauen auf ihren Schemeln und drückte den Rosenstrauß an ihre Brust, als sei er ein Schutzschild, hinter dem sie ihre Hässlichkeit, ihren Schrecken, aber auch ihr Glück verbergen konnte.
    Â»Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung«, sagte Krum.
    Â»Ich hab mich auch vertan«, antwortete sie, »ich habe Sie um siebzehn Uhr erwartet.«
    Sie kamen durch den Donauuferpark. In der noch immer warmen Luft füllten junge Leute und Arbeitslose die Gartenlokale. Die am Hafenkai schaukelnden Schiffe schienen ihnen aufmunternd zuzunicken: Na, wie wär’s mit einer kleinen Hochzeitsreise? Das Band des großen Stroms leuchtete mattsilbern im Mondlicht dazu. Die Zypressen verströmten ihren

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