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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Duft. Die Kronen der uralten Bäume breiteten ihr dunkles Netz über den Boden. Unter ihren Füßen knirschte der feine Kies. Gergina hatte sich – spürbar ungeübt darin – bei ihm eingehakt, und diese Nähe im Kokon der Nacht und des Parks wühlte sie auf.
    Endlich waren sie da. Newena hatte Festbeleuchtung in ihrem Häuschen gemacht, alle Lichter brannten. Sie selbst strahlte einladend. Krum ließ Gergina den Vortritt, und da fühlte er, wie müde sie beide doch eigentlich waren, wie unendlich erschöpft!
    Als sie ihre künftige Schwiegertochter so im schwarzen Kleid dastehen sah, durchfuhr Newena der Schauer des Wiedererkennens. Das war nicht jenes kapriziöse Seufzen eifersüchtiger Mütter, für deren schöne Söhne die schönsten Töchter gerade gut genug waren, sondern jenes erleichterte Zufriedenheitsseufzen, mit dem die Mutter in der zugeführten Frau sich selbst erkennt.
    In einer so orthodoxen, unverändert patriarchalen Kultur suchte jeder Mann unbewusst nach einer Ehefrau, die seiner Mutter glich, und da Männer psychisch höchst labil waren, suchten sie neben Geliebten, an denen sie ihre zweifelhafte Überlegenheit unter Beweis stellen konnten, in der Frau eben vor allem den Schutz und die Geborgenheit, die sie bei der Mutter erfahren hatten.
    Schon in diesem ersten Moment wusste Newena, dass diese Gergina ihren Sohn nicht nur lieben und umsorgen würde, sondern sich auch für ihn aufopfern und … immer auf ihn warten würde, treu bis in den Tod. Wie selbstverständlich ging Gergina ihr sofort zur Hand, als sie in der Küche den mit Möhre, Knoblauch und Speck gefüllten, kräuterduftenden Hasen zerteilte, und daran erkannte Newena, dass diese Frau sie ablösen würde. Die Bitterkeit dieses Gedankens löste sich auf in dem süßen Wissen, dass sie in Gergina weiter bei ihrem Sohn sein würde, sodass sie sich endlich ruhigen Herzens zu ihrem verstorbenen Ehemann Krum Marijkin legen konnte.
    Newena ging jeden Nachmittag zu seinem Grab, ganz gleich, ob es regnete oder schneite, die Stadt in der Hitze briet oder in der Kälte platzte, und tat irgendetwas: lockerte die Erde und jätete Unkraut, goss die grüne Hoffnung des fünffingrigen Geraniums und die Buchsbaumsträuchlein, und dabei fühlte sie sich, als ob sie ihrem verstorbenen Mann das Kissen aufschüttelte und das Bett machte. Dabei redete sie mit leiser, jedes Gefühl zurückhaltender Stimme, als sei nicht er, sondern sie vor ihm ins Jenseits eingegangen: »Ganz ruhig, Marijkin, ruh dich nur aus, ich hab nicht aufgehört, auf dich zu warten, bis du auf immer zu mir kommst!«
    Â»Hase nach Jägerart ist das Lieblingsgericht meines Sohnes«, vertraute sie Gergina an.
    Â»Ich habe ein großes Kochbuch zu Hause«, erwiderte Gergina freudig.
    Â»Es kommt alles auf die richtigen Kräuter an, und auf den saftigen Speck«, streichelte Newena Gergina mit der Stimme, »sonst wird das Fleisch trocken.«
16
    Am anderen Morgen blieb Krum lange im Bett. Schließlich stand er auf, machte am offenen Fenster seine Gymnastik und aß schließlich, was vom Hasen übrig geblieben war. Seine Mutter hatte sich wirklich selbst übertroffen, so zart war das Fleisch geraten, und so schön hatte sie den Wildgeschmack des Tiers mit Füllung und Kräutern ausbalanciert. Der Abend selbst war eher matt und in fast völligem Schweigen verlaufen, so als hätten sie sich wirklich – wie Gerginas schwarzes Kleid andeutete – zu einem Totengedächtnis versammelt. Und so blieb es bei Fragen wie: »Möchten Sie noch Brot?«, worauf die Eingeladene antwortete: »Danke, sehr lieb von Ihnen.« Dann versanken alle drei wieder in einer Art Betroffenheit, Niedergeschlagenheit darüber, dass sie es nicht vermochten, ihrer Zufriedenheit, geschweige denn ihrer Freude Ausdruck zu geben, einfach Glück zu empfinden. Krum war immerhin auch schon sechsundvierzig Jahre alt und hatte bei aller markanten Männlichkeit und gut erhaltenem Aussehen doch die Schrulligkeit des alten Junggesellen angenommen. Gergina war fünfunddreißig und hatte sich darauf eingerichtet gehabt, unverheiratet zu bleiben. Newena Marijkina wiederum nahm sich die Freiheit, nachdem ihr Sohn in guten Händen war, sich nach den Mühen eines langen Lebens auf die ewige Ruhe an der Seite ihres verstorbenen Mannes zu freuen.
    Als sie zum

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