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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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ihren Getränken genippt hatten, setzte sie sich ans Ende des Bettes und zog verlegen ihren Rock über die Knie.
    Â»Soll … soll ich mich ausziehen?«, fragte sie unsicher, fast ängstlich. M-mach ich gerne, aber g-geben Sie mir ein bisschen Zeit. Hab so blöde Rückenschmerzen im Moment, t-tut richtig weh.«
    Keiner wagte, den anderen anzuschauen, und so starrten sie betreten in die Ecke.
    Â»Wie heißen Sie?«, fragte Christo beklommen.
    Â»Dessislava«, hauchte die Schöne. »Aber Sie können Dessi zu mir sagen.«
    Christo spürte, wie ihm die Röte heiß zu Gesicht stieg. Er versuchte zu löschen mit einem großen Schluck Whisky, verschluckte sich aber daran. Er wurde das Gefühl nicht los, dass seine Dessislava wusste, wo er jetzt war, ihn aus dem Dunkel heraus beobachtete und vor Kummer um ihn und um sich weinte, wissend, dass er eigentlich kein Lüstling und Frauenheld war, sondern gekommen war, um etwas zu kurieren. Das Mädchen spürte etwas und fragte:
    Â»Sind Sie enttäuscht von mir?«
    Â»Nein«, antwortete Christo gepresst, »aber ich hab’s eigentlich schrecklich eilig, stelle ich gerade fest, und muss einfach gehen. Bitte entschuldigen Sie mich!«
19
    Nach diesem Erlebnis wagte er es eine Woche lang nicht, sich mit »seiner« Dessislava zu verabreden. Er wurde fast verrückt vor Schmerz und Einsamkeit. Außerdem träumte er jetzt einen anderen Traum, und in dem sah er die Dessislava aus dem Club d’Amour nackt auf dem Bett des Zimmers liegen mit birnenförmigen Brüsten und heißen Schenkeln. Er hatte eine fast schmerzende Erektion und starrte auf ihren Leib, der von Kopf bis Fuß von Wunden und Krusten übersät war; aber das stieß ihn nicht ab, sondern weckte eine perverse Lüsternheit in ihm. In seinem Kopf mischten sich die gurrende Stimme der blasierten Puffmutter mit dem Klang von Christbaumglöckchen. Und wie er sich gerade auf das Mädchen legen wollte, wurde die Tür zum Liebeszimmer aufgerissen und »seine« Dessislava stand im Rahmen, eingehüllt ganz wie in jener Nacht nach dem Abend bei Toschev und seiner Frau in eines seiner Badehandtücher. »Wie könnt ihr nur«, empörte sich »seine« Dessislava. »Ich gehe nur mal eine Minute ins Bad, mich duschen, und schon seid ihr dabei …« Die schüchterne Schöne unter ihm stotterte: »Entschuldigen Sie bitte, ich habe dem Herrn sogar gesagt, mir täte der Rücken weh, aber er … er hat sich einfach auf mich gestürzt!« In diesem Moment erwachte Christo mit einer Mordserektion, und er musste eine kalte Dusche nehmen, um sich von diesem Liebesprügel zu befreien.
    Es war dann Dessislava, die sich am folgenden Samstag bei ihm meldete. Ihre Stimme vibrierte, man hörte, dass sie geweint, jemand sie beleidigt oder tief verletzt hatte.
    Â»Bitte, Christo, komm sofort her«, schluchzte sie.
    Â»Was ist denn passiert«, erschrak Christo.
    Â»Wenn du wüsstest, ach, wenn du nur wüsstest … Bitte, komm schnell!«
    Er zog alte Jeans an, den Baumwollpullover, den Dessislava ihm zum Geburtstag geschenkt hatte; so ungezwungen gekleidet, würde er ihr näher und vertrauter sein. Er fuhr wie ein Wahnsinniger. In seinem Kopf rotierten Vermutungen, die mit seinem Traum zu tun hatten. Ich werde alles abstreiten, dachte er kleinmütig, gehen nicht viele Leute aus einem ähnlichen Grund wie ich ins Puff?
    Er hatte noch nicht geklingelt, da riss Dessislava schon die Haustür auf, rannte zurück ins Wohnzimmer, warf sich aufs Sofa, barg ihr Gesicht in einem Sofakissen und begann zu schluchzen. Christo drehte sich alles, sein Herz blieb stehen. Er setzte sich auf die Sofakante zu ihr und streichelte ihr übers Haar. Sein Blick fiel auf die Wände, an denen, immer noch nicht renoviert seit Emilias Tod, die hellen Rechtecke zu sehen waren, vor denen einmal Gemälde gehangen hatten. Inzwischen lebten hier in der Wohnung auf der Ljuben-Karawelov-Straße nur noch Dessislava und ihr Großvater Assen. Die Ecken waren schwarz von den Dunstschwaden, und die Decke vergilbt von endlos vielen gerauchten Zigaretten. Die Möbel sahen heruntergekommen und verlassen aus, das Parkett war zerkratzt und verzogen, die fleckigen Teppiche verbargen es notdürftig. Das also war geblieben nach über vierzig Jahren Familienleben. Christo fühlte, wie er einen Kloß im Hals bekam, so

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