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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Sinnen!«
    Â»Natürlich bin ich das«, stimmte Krum verschmitzt zu, »aber Sie helfen mir doch trotzdem, nicht wahr?«
    Â»Dabei, dieses Geld zu verlieren und alles, was Sie besitzen?«
    Â»Im Gegenteil! Ich werde doch die Fabrik meines Großvaters nicht verschenken. Sie haben mich so inständig gebeten, das Erbe anzutreten. Jetzt, wo man mich gezwungen hat, sie zu verkaufen, will ich es wenigstens gegen einen angemessenen Preis tun!«
    Â»Wie stellen Sie sich das vor?«
    Â»Mir wird schon etwas einfallen.«
    Â»Ich habe große Zweifel, dass dabei etwas herauskommt. Sapere aude , haben Sie Mut, sich erst einmal Ihres Verstandes zu bedienen, bevor Sie handeln!«
    Â»Keine Zeit«, lächelte Krum entschuldigend.
    Â»Keine Zeit, das Erbe Ihres verehrten Herrn Großvaters zu retten?«
    Â»Ich muss ja auch noch heiraten.«
    Diese Rechtfertigung klang so absurd, und kam so schlicht daher, dass Schuschulkov auf weitere Fragen verzichtete. Er zog einfach die Schreibtischschublade auf, holte den großen Schlüssel mit dem gezackten Bart heraus, hüstelte, stand auf, wartete, ob er auch ja nicht umfiel, schaltete den Ventilator wieder ein, diesmal in tarnender Absicht, zog zu diesem Zweck auch die Vorhänge zu, damit kein neugieriger Passant zufällig hereinschaute, und öffnete den Safe.
    Â»Seien Sie ganz ruhig, Herr Marijkin«, ließ er sich im Pathos altmodischer Pflichttreue vernehmen, »schon morgen werde ich bei allen Versicherungsgesellschaften vorsprechen, um Ihren Auftrag auszuführen, Lapsus Linguae, Ihren wahnwitzigen Plan.«
17
    Schon im Spätsommer, als das Gras auf Wiesen und Weiden, in Tälern und an den Hängen trocken wurde, der Mischwald trocken im Wind raschelte, die Blätter sich bunt färbten im milder werdenden Licht des kommenden Herbstes, passierten auf einmal unerklärliche Dinge. Anfangs schenkte Christo ihnen keine Aufmerksamkeit, weil er keinen Zusammenhang sah; allmählich aber nötigte ihn ihre stetige Wiederholung, innezuhalten und über ihre Vieldeutigkeit nachzudenken.
    Im September bekam er einen kurzen anonymen Brief. Auf teurem Papier mit Wasserzeichen hatte jemand mit aus der Zeitung ausgeschnittenen Buchstaben den Satz zusammengeklebt: »Perverser Widerling, nimm dich in Acht!« Dann erhielt er die ganze Woche über spätabends Kurznachrichten mit Bibelzitaten auf sein Mobiltelefon. »An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.« »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« An einem Morgen brachte der Briefträger einen dicken Umschlag, in dem auf einem großen Blatt mit Buchstaben, die von einem Konzertplakat stammten, ein Vers aus dem Buch der Prediger stand: »Was war, das ist auch heute, und was sein wird, ist schon gewesen. Und Gott wird die Vergangenheit zurückrufen.«
    Christo meldete sich sofort bei seiner Bewachungsfirma. Von dort stellte man weitere vier Leibwächter der Marke »tätowierte Kampfmaschine« für ihn ab. Nun waren zu jeder Tages- und Nachtzeit immer mindestens zwei bewaffnete Bewacher in seiner Nähe, die er über einen Ohrstöpsel blitzschnell zu sich beordern konnte.
    Trotzdem fand er eines Morgens, als er den Kühlschrank öffnete, zwischen Gläsern, Flaschen und Dosen eine tote Katze. Ihre Zähne waren entsetzlich gefletscht, ihr Fell mit Wanzen übersät. Christo wäre vor Schrecken und Ekel fast rücklings hingeschlagen. Er übergab sich ins Waschbecken und entließ noch am selben Tag seine Köchin. Doch obwohl sich seitdem ein Leibwächter recht und schlecht nicht nur um Christos leibliche Unversehrtheit, sondern auch sein leibliches Wohl kümmerte, hörten die unerklärlichen Seltsamkeiten nicht auf. Der Strom fiel zum Beispiel häufig ohne erkennbaren Grund aus, und zwar nur in seinem Anwesen; bei seinen Nachbarn brannte weiterhin Licht. Schließlich kaufte er einen Stromgenerator, der mit Benzin lief und bei Stromausfall stark genug war, damit das Licht, der Fernseher, die Computer und die Videoüberwachung sowie die elektrische Heizung weiterliefen. Da kam auf einmal, als er den Kran aufdrehte, um sich ein Bad einzulassen, braunes Schlammwasser aus der Leitung.
18
    Was Christo aber viel mehr als all dies beunruhigte, ihn nachts mit Herzrasen weckte und ihn orientierungslos an die Decke starren ließ, bis das Morgenlicht durch die schweren Vorhänge drang, war etwas ganz anderes: seine klägliche

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