Seelenasche
unerträglich war ihm dieser Anblick.
»Nun beruhig dich doch, hörst du, beruhig dich doch.«
»Ja, wie denn?«
»Du weinst ja, als wäre etwas Schreckliches passiert. Ich bin doch hier!«
»Aber es ist ja schrecklich!«
»Wenn wir zusammen sind, was kann denn dann schrecklich sein?«
»Ich fühl mich beschmutzt, erniedrigt, verstehst du? Ich hasse mich!«
»Erniedrigt?« Christo zuckte zusammen. Er konnte nicht anders, als an seinen kleinen Ausflug in den Club dâAmour zu denken, und errötete. »Warum denn das?«
»Das kannst du dir bestimmt nicht einmal im Traum vorstellen.«
Dessislava richtete sich abrupt auf, warf sich ihm in die Arme, verschränkte sie um seinen Nacken, umfing ihn mit ihrer Verzweiflung, benässte ihn mit der feuchten Erleichterung ihrer Tränen, ihrer ganzen unmöglichen Fraulichkeit.
»Ich bin schwanger«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Aber das ist doch wundervoll.« In seiner ohnmächtigen Freude lachte er laut heraus.
»Ein Kind der Sünde«, flüsterte sie in leisem Entsetzen. Als sie sich von ihm löste, sah er, dass ihre Augen vom Weinen geschwollen waren. Weiterzuweinen hatte sie keine Kraft mehr.
»Nein, ein Kind unserer Liebe«, widersprach er.
»Des schändlichen Inzests!«
»Unserer schwer errungenen, unendlichen und erst so kurzen Liebe.«
»Unserer egoistischen Willkür«, widersprach sie störrisch.
»Nein, ganz einfach unser Kind.« Christo konnte seinen Stolz und sein Glück nicht zusammenbringen, seinen übergroÃen Stolz, sein unverdientes Glück.
Dessislava erzählte ihm, wie sie das Leben in sich einfach »gewusst« habe, wie sie, um sicherzugehen, in der Apotheke einen Schwangerschaftstest gekauft habe, den Test zur Sicherheit wiederholt, dann noch einmal wiederholt und jedes Mal gehofft habe, dieser süÃe Kelch möge an ihnen vorübergehen, und jedes Mal am Ende in Siebenheiligen vor der Ikone der Muttergottes inbrünstig gebetet habe, das Kind möge gesund sein. Die Kirche sei leer gewesen und so finster, als ob nicht einmal die an die Wände gemalten Heiligen das Licht ihrer Augen hineingeworfen hätten. Es habe nach Weihrauch, Kerzen, flüsternder Heiligkeit und der ersten Schwangerschaftsübelkeit gerochen.
Hier unterbrach Dessislava ihren Bericht, um sich von ihm zu lösen und mit Fäusten auf seine Brust einzutrommeln. Ihre Panik schien vollkommen unangemessen, wenn man nicht genauer hinsah und bemerkte, dass da noch etwas war, was sie sah, etwas, das sie zu Tode erschreckte.
»Pass gut auf dich auf«, wimmerte sie, »hörst du, gut, gut, gut auf dich auf!«
20
Dessislava wunderte sich selbst, woher diese unbändige, scheinbar grundlose Angst kam. Sie saà mit Maja in ihrem Stammcafé, dem im Souterrain, von dem aus man nur die Beine der Passanten sehen konnte, mal in teuren Stiefeln oder Stiefeletten, mal in Arbeitsschuhen mit dicken Sohlen, mal in ausgetretenen Halbschuhen. Die Gaststätte hatte einen neuen Pächter, der gemeint hatte, sie in eine Art irischen Pubs umwandeln zu müssen. Ãber der Bar prangte nun eine groÃe Zapfanlage mit mehreren Hähnen, an den Wänden hingen vergröÃerte Fotos von Sofia, wie es vor hundert Jahren war, und von alten Röhrenradios; ansonsten war aber alles beim Alten geblieben. Nur die Preise waren jetzt doppelt so hoch, und deshalb kam das alte Stammpublikum wohl auch nicht mehr: die Schüler, die hier in den Pausen bei einem Kaffee oder Cappuccino rauchen übten, die Drogensüchtigen, die mit leeren Augen in die Ferne starrten und sich kaum auf den Beinen hielten; die Rentner des Viertels, die sich hier morgens einen Kaffee leisteten und dabei die ausliegende Zeitung lasen. Kurz: Das Café hatte sein menschliches Flair verloren, jene Heimeligkeit, die nicht durch Einrichtung, sondern durch die Art der Gäste entsteht. Dessislava wollte deshalb, dass sie woanders hingingen, aber Maja wusste, dass sie hier immer einen ausgegeben bekam, was sie bei anderen Lokalen nicht erwarten konnte. Gerade hatte Dessislava ihrer Freundin ihr Herz ausgeschüttet.
»Wenn du so glücklich bist«, antwortete Maja, die an diesem Tag keine Vorstellung hatte, »wovor hast du dann solche Angst?«
»Ist doch klar«, sagte Dessislava aus dem Stegreif, »wenn du unglücklich bist, kannst du ja leicht mutig sein, da hast
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