Seelenasche
unterschreiben . Auf einmal kam ihm in den Sinn, dass Daniela vielleicht genau wie seine erste Frau zugleich unwiderstehlich angezogen worden war von seiner Berühmtheit, zugleich aber auch abgestoÃen davon, dass dieses »Allen-zugleich-Gehören« jede Privatsphäre und Intimität zerstörte. Im Zusammenleben hatte Dida es erfahren müssen, wie leer diese Popularität war, wie unverdient seine Macht über die Menschen, wie irrational, vom Bildschirm aus in die Häuser der Leute einzudringen, im eigenen Zuhause aber selbst »anwesend abwesend« zu sein. In seinem Egoismus, der ihm selbst nicht bewusst war, hatte er Neda betrogen und verraten, und nun Daniela.
Der Kriminalbeamte hörte nicht auf zu reden. Sagte Kluges. Mitfühlendes. Aber eben mit dem Pathos des schlechten Redners. Er glaubte vermutlich, Jordan so zu helfen oder ihn wenigstens vor einem Schock oder einem Nervenzusammenbruch zu bewahren. Aber Jordan sah nur Dida vor sich, in der Formalinkühle irgendeines feuchten Souterrains, ihr Blut und seine Schuld schon von ihren geschlossenen Augen abgewaschen, aber mit noch flammend-lebendigem Haar. Kalt und gerecht lag sie da wie der Tod. Wie damals bei Neda sah er auch jetzt ihren Körper so unendlich rein und unschuldig, dass er sich in Anwesenheit eines anderen Mannes nicht geschämt hätte. Er wäre in der Lage gewesen, die wächserne Abwesenheit dieses Leibes seinem alten Chef, Gospodinov, zu zeigen oder seinem neuen Chef Eduard Toschev. Doch nun sah er auch, dass noch so viel Macht über noch so viele Menschen nicht genügte, um so viel Macht über das Leben eines einzigen geliebten Menschen zu haben, dass er es Jesus gleichtun und sagen konnte: »Steh auf und wandle!«
Der Wecker auf dem Schreibtisch riss ihn aus seiner Versenkung. Es kam ihm so vor, als höre er das Ticken nicht vor sich, sondern im Inneren seiner Knochen, seines Schädels. Der Ermittler hatte wohl schon längere Zeit rücksichtsvoll geschwiegen und ihn mit seinen müden, verquollenen Augen besorgt gemustert.
»Bitte entschuldigen Sie, Herr Weltschev, dass ich Ihnen diese Frage stellen muss, aber ⦠Hat es zwischen Ihnen und Ihrer Frau Streit gegeben, Konflikte, Unstimmigkeiten?«
»Nein«, antwortete Jordan so entschieden wie damals bei Neda, »ich hatte keinerlei Konflikte mit ihr.«
38
Zur Beerdigung Christos ging Dessislava nicht. Sie wusste, dass ihre Abwesenheit unter so vielen anwesenden seriösen und weniger seriösen, aber stets schwerreichen Geschäftsleuten in Schwarz mitsamt jenen Männern, die auch an solchen lichtlosen Spätherbsttagen ihre Sonnenbrillen nicht absetzten, zwischen Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens, Fernsehleuten und Zeitungsverlegern sowie jener unvermeidlichen Schwadron kamerabewaffneter Journalisten, die alles haarklein »dokumentierten«, vollkommen unbemerkt bleiben würde. Ihre An- oder Abwesenheit war so unerheblich, dass sie sich in der Tat erübrigte. Der Hauptgrund aber, warum Dessislava nicht zu diesem Begräbnis ging, war, dass sie Christo grenzenlos böse war und spürte, dass sie ihm nie würde verzeihen können!
Da erlebte sie eine Ãberraschung. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ging sie ins Internet und rief ihre E-Mails ab, um zu sehen, wie einsam sie war, um sich in ihre Einsamkeit zu teilen. Und dort war â wenn man vom Spam einmal absah â die einzige neue, noch ungeöffnete Mail â von Christo.
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Meine Liebste, meine Einzige,
ich sende dir ein paar Worte, die ich so für mich, für uns aufgeschrieben habe. Warum? Das weià ich selbst nicht. Aber tief im Inneren glaube ich, dass im Anfang das Wort war. Wie anders hätten wir denn von Gott erfahren können, und dass er die Welt erschaffen hat, wenn nicht Worte uns davon erzählt hätten? Von den Zehn Geboten und den Gesetzen, die er dem Stamm Israel gegeben hat, ganz zu schweigen. Es gäbe nur Stille und das Walten der Natur, jedenfalls für uns Menschen. Und Gott muss gewusst haben, dass die Dinge für uns Menschen erst dadurch real werden, dass wir sie beim Namen nennen können, und unsere Seele sie erst durch Anrufung als lebendig erkennen kann. Alles, was nicht benannt ist, gehört nicht dem Sein an, sondern nur dem Möglichen, ist bestenfalls Traum.
Vielleicht sind die beiden Texte, die ich dir hiermit schicke, nur Quatsch, nur Frucht meiner
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