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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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war inkontinent. Es roch nach Urin.
    Â»Jetzt weint sie auf einmal, Doktor Milanov«, hörte sie die Stimme der Schwester mit dem schiefen Häubchen, »jetzt lächelt sie nicht mehr!«
    Für sie, Dessislava, war der Tod Danielas nicht etwas, das bevorstand und geändert werden konnte, sondern etwas, was der Zeit schon eingeschrieben war; darum wurde ihr auch der Engel mit einem weißen und einem schwarzen Flügel geschickt, der ihr einen Finger auf den Mund legte und ihr verbot, kundzutun, was sie gesehen hatte. Dessislava glaubte ihrem Albtraum ohnehin nicht. Nicht einmal, als der Mann im Nebenbett in den frühen Morgenstunden verschied, nicht einmal, als man ihr die Schläuche und die Infusion entfernte und sie in ein Zimmer mit fünf anderen operierten Frauen legte, wagte sie es, sich bei ihrem Bruder zu melden und ihn vorzuwarnen. Am nächsten Abend wehte sie etwas an. Da wusste sie, dass das Unglück geschehen war. Eine ungeheure Trauer um ihre geliebte Schwägerin ließ sie in Tränen ausbrechen. Sie sah ihren Bruder im Dienstzimmer des schlecht rasierten Kripobeamten mit den übermüdeten Augen und der braunen Krawatte auf gelbem Hemd sitzen, hörte, wie es sich in ihm aufbäumte, wie er es Jesus gleichtun und sagen können wollte: Steh auf und wandle! Dann verlor sich sein Bild in den Straßen von Sofia.
    Viel später bekam Dessislava eine andere, erfreulichere Vision. Das Ereignis war noch nicht in die Zeit eingeschrieben und konnte daher vermieden werden. Sie bügelte gerade die Windeln der kleinen Jona, da sah sie, dass ihr Bruder Jordan heiraten konnte, sooft er wollte: Er war dazu verdammt, seinen Frauen den Tod zu bringen, indem er sie einerseits über alles liebte, andererseits aber stets an das Ungeheuer seiner Berühmtheit verriet, von der er nicht lassen konnte. Einmal auf den Grund seines Schicksals geblickt, würde Dessislava ihn in Zukunft dazu ermuntern, mit anderen Frauen anzubändeln, um über Didas Verlust hinwegzukommen, aber sie würde sich ihm strikt in den Weg stellen, wenn sich so etwas wie eine feste Beziehung anbahnte. Und wie sie vor Zeiten, als Neda verunglückt war, die Sorge um Jordans erste Tochter Jana übernommen hatte, so nahm sie nun, nach Didas Tod, ohne Kommentar auch die Sorge für deren Tochter Jona auf sich. Am bulgarischen Allerheiligentag träumte sie, dass das erste Wort Jonas »Mama« sein würde, ohne es je gehört zu haben. Sie würde es nach einem langen Schläfchen und verstimmtem Babyquäken sagen, nachdem sie die Milch, die in ihre Brüste eigentlich für den kleinen Assen eingeschossen war, leergetrunken hatte. Von da an würde sie auf heilsame und den Schmerz betäubende Weise Dessislava immer »Mama« rufen, ganz im Sinne der Worte Jonkas, die sie ihr in einem Traum gesagt hatte: »Denn du bist ihrer aller Mutter, Kind. Hörst du, wie die Liebe in deinen Augen und deinem Herzen still aufwächst wie eine Blume?«
    Erst mehrere Monate nach dem Verlust des kleinen Assen und seines Vaters Christo, und lange auch, nachdem Dida tödlich verunglückt war, begriff Dessislava, dass die Träume und Gesichte, die sie hatte, mehr waren als jene gelegentlichen Vorahnungen, die fast alle Frauen kennen.
    Eines Nachmittags, als sie Jona gerade wickelte, nötigte ihre ungewollte Gabe sie, dem Tod ihres Vaters zuzuschauen, dem Namensgeber ihres ungeborenen Kindes, Geburtshelfer des Sozialismus und Jura-Professors Assen Weltschev, bei dem in den letzten Jahren die Beklemmung seiner Jugendjahre, nicht nützlich zu sein, wiedergekehrt war. Vor lauter Einsamkeit war er gegen seine ursprüngliche Absicht nun doch Dessislavas Rat gefolgt und hatte sich darangesetzt, seine Bücher über die Psychologie und Technik der Macht und über die Demokratie zu überarbeiten … In ihrer Vision kam er gerade mit einem frischen Brot unter dem Arm aus der Bäckerei. Wie immer völlig in Gedanken versunken, überquerte er bei Rot die Ampel, ohne die herannahende, wild bimmelnde Straßenbahn auch nur zu bemerken. Das Schienenfahrzeug hatte bereits genug abgebremst, um ihn nicht unter sich zu begraben, sondern seinen ausgetrockneten, altersleichten Körper nur zur Seite zu schubsen. Sie sah, wie das Brot zu Boden fiel, wie ihr Vater mit den Armen ruderte und ohne ein äußerlich sichtbares Zeichen der Verletzung zu Boden stürzte. Diese Vision, verriet

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