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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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traurigen roten Augen, dem schlurfenden Gang eines alten Menschen und den triefenden Lefzen. Das riesige, endlose Haus war versunken in mysteriöser Stille.
    Er ging zu dem Sessel zurück, in dem Eduard Toschev ihm die Mappe mit dem Vertrag gereicht hatte, unterschrieb das Dokument. Dies nahm eine gehörige Zeit in Anspruch, da er sein Autograf auf jede einzelne Seite in beiden Ausfertigungen setzen musste. Dann rollte er sein Exemplar zusammen, steckte es sich in die Seitentasche seiner Anzugjacke und warf die Ledermappe auf die Kristallglasplatte zurück. Aus dem Kamin kam jenes luftziehende Geräusch, das dem Platzen des Holzes vorausgeht. Es hörte sich an, als hätten die Scheite Mitleid. Jordan ging auf die Terrasse, tastete sich zum Kiesweg vor, ging ihn hinab. Zur Linken waren gespenstergleich die hellen Silhouetten der Springbrunnen und Wasserfälle zu sehen, die treppenartig aus geöffneten Muschelhälften bestanden, über die das Wasser in Stufen hinabrauschte. Plötzlich tauchte aus dem nebligen Dunkel die Gestalt eines von Toschevs massigen Leibwächtern auf mit geschorenem Kopf und überraschend intelligentem Gesicht. Wenn er nicht so breitschultrig und groß gewesen wäre, hätte man ihn für Toschev selbst halten können. Er trug einen Wintermantel und einen Ohrhörer.
    Â»Ihre Frau«, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit, »ist mit Ihrem Wagen weggefahren, Richtung Sofia.«
    Â»Oh«, reagierte Jordan überrascht, »mein Mantel liegt im Auto.«
    Â»Ich fahre Sie gern. Herr Toschev hat mir aufgetragen, Ihnen seinen Dank zu übermitteln dafür, dass Sie seinen Vertragsvorschlag so ungeteilt angenommen haben, und Sie nach Hause zu fahren.«
    Â»In dieser kalten Brühe … Da wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
    Mehr Worte wechselten sie nicht. Sie gingen nebeneinander, aber jeder für sich durch den Nebel. Jordan wurde empfindlich kalt und – Gott weiß, warum – auch sonst klamm zumute. Schließlich erreichten sie die asphaltierte Zufahrt. Dort wartete ein silberner Bentley auf sie. Die Klimaanlage musste bis vor kurzem eingeschaltet gewesen sein, denn das Wageninnere war gut geheizt. Geräuschlos setzte sich die Oberklassenlimousine in Bewegung. Das schmiedeeiserne Tor öffnete sich automatisch. Der Bodyguard steuerte den Wagen hinaus auf die vom bläulichen Neonlicht trüb erhellte Straße, und da überkam Jordan ein Gefühl der Erleichterung. Er seufzte. Versuchte, sich vorzustellen, was zwischen seiner Frau und Toschev vorgefallen sein mochte, dass sie so außer sich von der kleinen Besichtigung der häuslichen Sammlungen fortgestürzt war. Was auch immer das sein mochte: Er war sich vollkommen sicher, dass Dida, wenn sie erfuhr, dass er ihrer beider Zukunft, ihrer beider Freiheit unterschrieben hatte, ihm alles erzählen und alles verzeihen würde. Der Bentley fuhr ruhig die abschüssige Fahrbahn zur Umgehungsstraße hinunter. Drei Querstraßen weiter unten klingelte sein Handy. Wütend, fast bedrohlich. Doch die Nummer, die auf dem Display aufleuchtete, war ihm unbekannt.
37
    Das Dienstzimmer, durch Rauchglas in zwei Hälften geteilt, schien dasselbe zu sein: ein alter Rollschrank mit verstaubten Aktenmappen, ein wackliger Schreibtisch mit Schreibtischlampe, ein Sessel mit abgewetztem Bezug, der mal grün gewesen sein musste, ein Wecker, der die Zeit verdöste. Doch statt der Erika-Schreibmaschine prangte vor dem Kriminalbeamten nun ein Computer, der aber auch nicht zu den neuesten Modellen gehörte. Sogar der Beamte schien derselbe zu sein wie der, der ihn vor vielen Jahren zum Unfalltod seiner ersten Frau Neda verhört hatte. Auch dieser trug, was Jordan wenig geschmackssicher erschien, eine braune Krawatte auf gelbem Hemd, hatte Schweißflecken und einen schlecht rasierten Hals. Die Augen des Mannes waren trüb vor Übermüdung, aber voll konzentriert. Er hatte den nervtötenden Tick, mit dem Daumen permanent die Mine seines Kugelschreibers schnappen zu lassen. Sein Haar war dünn, seine Zähne schlecht, die Haut um den Adamsapfel hing faltig, aber seine ganze Ausstrahlung verriet einerseits Machtbewusstsein, andererseits, dass er viel hatte einstecken müssen. Er war, wie der aufgestellte Wimpel auf seinem Schreibtisch bewies, Anhänger des Fußballklubs ZSKA Sofia. Daneben stand ein Foto seiner Frau und seiner Tochter, die hinter einem Chow-Chow

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