Seelenasche
geistigen Eitelkeit. Wenn ich dich bitte, sie trotzdem zu lesen, so deshalb, weil sie das Zeugnis eines Menschen sind, der versucht, sich zu begreifen, des Menschen, der dich rasend liebt!
Bitte verzeih mir diese Zumutung!
Auf immer,
dein Christo
Â
Murmelnd las Dessislava alles, was Christo ihr geschickt hatte, dann ging sie ins Bad, schnitt sich eine Locke ab, zog sich warme Sachen unter ihre schwarze Trauerkleidung an, zündete das ewige Licht, das Jonka ihr hinterlassen hatte, für den kleinen Assen an, trippelte zum Patriarchendenkmal an der Kreuzung und setzte sich in die StraÃenbahn, die hinauffuhr zum Zentralfriedhof.
Der Zentralfriedhof lag versunken da in seiner verschneiten Stille, jener Versunken- und Verschwiegenheit letzter Ruhestätten. Das einzig Wärmende in der schneidenden Kälte dieses noch jungen Winters war der schmutzige Rauch, der aus dem Krematorium aufstieg. Dessislava kam diese muntere Rauchsäule wie Hohn vor, zynisch geradezu. In ihren zu dünnen Stiefeln bekam sie langsam eiskalte FüÃe. Trotzdem suchte sie weiter die Friedhofswege ab, unmerklich wie eine Stille in der Stille, ein Schatten unter Schatten. Vor ihr tauchten ein paar StraÃenköter mit herabhängenden Ohren auf, die der ständige Hunger Geduld gelehrt hatte. Einer von ihnen humpelte; sein rechtes Hinterbein war wohl gebrochen.
Endlich fand sie Christos Grab. Sie wusste, dass Eduard Toschev den Grabstein bestellt und dafür gesorgt hatte, dass der ungeschliffene Granitblock, der bei all seiner absurden GröÃe und Pomposität etwas Hypnotisches hatte, binnen zwei Tagen aufgestellt wurde. Darauf eingemeiÃelt ein kleines Kreuz, der Namenszug »Christo Alexandrov Weltschev«, und sein Geburts- und Todesdatum. Aus der Schneedecke ragten vereiste Blumenkelche heraus, die im plötzlich eingetretenen Frost langsam welkten, aber noch immer Duft verströmten. So trostlos, so vergeblich, dass es einem das Herz zerriss. Ganz vorn lag ein riesiger Kranz mit einem weiÃen und einem schwarzen Schleifenband und dreihundert weiÃen Rosen von Eduard Toschev, daneben der Kranz dieses mysteriösen Generals Iwan Grigorov, von dem Christo mal beiläufig gesprochen hatte, mit dreihundert roten Rosen. Der Staatspräsident hatte einen Kranz niedergelegt, der Ministerpräsident, der Kultur- und der Verkehrsminister. Dessislava packte der Widerwille, und sie hörte bald auf, diese pathetischen Trauerfloskeln zu lesen. Sie betrachtete lieber die Blumen, die in der amorphen Kälte langsam mumifizierten und fein und eisig nach natürlicher Zersetzung rochen, nach Ehrbezeugung reicher, hartherziger Menschen und auf lange konserviertem Tod. Dessislava kniete nieder, legte Christo ihr schlichtes SträuÃchen mit der eingebundenen Haarlocke zu FüÃen. Dann goss sie ihm, wie es der Brauch wollte, etwas Wein aufs Grab und stellte etwas Brot hin. Ihre Hand war im Nu so kalt, dass sie sich mit ihrem bisschen Atemwärme hineinhauchte.
»Wir waren dir reichlich böse, der kleine Assen und ich«, raunte sie in die hartgefrorene Luft, »und hatten beschlossen, dich zu vergessen. Warum, fragst du? Na, weil du uns verraten hast. Du, mein Liebster und Einziger, warst nicht bereit, das groÃe Geld für unsere kleine Liebe fahrenzulassen, und wolltest auch nicht den Erfolg, den donnernden Erfolg gegen das leise Geklingel des Glücks eintauschen. Und so kam es am Ende, wie es kommen musste: Du hast uns, mich und deinen werdenden Sohn, verlassen, ach, was sage ich: Abgetrieben hast du uns, ja, abgetrieben.«
Dessislava war ganz sicher gewesen, dass sie und das Kind, das sie verloren hatte, ihm wirklich niemals verzeihen würden. Als sie aber seinen Text über den wahren, den gescheiterten Christus gelesen hatte, der für den Statthalter Tote auferwecken sollte, wurde ihr klar, dass Christo den Preis des Geldes sehr wohl gekannt, das Unglück des Reichseins und die Ohnmacht des Reichen erfahren hatte, und dass er wusste, dass es gröÃere Dinge gab als den Egoismus, Dinge, die dauerhafter waren und sich dem Gedächtnis der Menschen länger einprägten als Erfolg und Reichtum; wenn jemand sich opferte zum Beispiel. Sie konnte nicht umhin, darüber nachzusinnen, ob es mehr als ein Zufall war, dass »Christo« der Beiname des Erlösers war.
»Gut immerhin, dass du mir diese Texte da geschickt hast.« Sie lieà ihre Blumen sich wie
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