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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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bedeckt; er wollte seinen Spott mit ihr treiben. Seine Liebe war so unerträglich, dass er Emilia etwas antun, ihr schaden, ihr Schmerz zufügen wollte, so wie Schüler Mitschülerinnen schlugen, die ihnen besonders gefielen. Er lächelte, kehrte in sein Zimmer zurück und schrieb auf ein kariertes Blatt aus seinem Schulheft:
    Â»In Gegenwart einer Gruppe angesehener Intellektueller erzählte die berühmte Schauspielerin Emilia Weltscheva folgenden politischen, staatsfeindlichen Witz: ›Die Limousine ist eine Art Luxusautomobil, in der sich in Vertretung des Volks die Volksvertreter befördern lassen.‹
    John Lennon«
    Den Witz hatte übrigens nicht seine Tante, sondern seine Mutter erzählt.
3
    Ihre Bühne glich einem Gefängnis. Diese von drei Seiten umgrenzte Unfreiheit ragte nun frech in den Zuschauerraum. Kahl, zerfressen von zwei schwachen Strahlern, standen darauf nur die beiden hölzernen Pritschen von der letzten Probe. Keinerlei Tiefe, kein Zusammenhang. Das menschenleere Parkett lag im Halbdunkel, es roch dezent nach Bühnendeko und Staub, jugendlicher Begeisterung und vergeblichem Schweiß. Die Stille in ihrem Rücken war dicht wie eine Wand.
    Hamlet hatte am Abend wohl einen über den Durst getrunken, darauf ließ jedenfalls seine sedierte Aussprache schließen, und man konnte den Eindruck gewinnen, die Handlung spiele nicht in einem von Fackeln erleuchteten Schloss, dem dänischen Königshof, sondern im Ungarischen Restaurant gleich gegenüber der Schauspielakademie. Sein Leiden war daher beinahe authentisch: entkräftet, mit dicker Zunge und einem Kopf, in dem nichts zusammenlief. Auch Ophelia sah schlimm aus: Sie hungerte für die Figur, und das merkte man. Vor Probenbeginn kaufte Dessislava ihr ein gefülltes Teilchen und eine Tasse Kaffee am Buffet, aber Ophelia hatte seit zwei Tagen nichts gegessen. »Weißt du eigentlich, was eine Diät ist, Kindchen?« Dessislava schwieg, um nicht ungebührlich neugierig zu wirken. »Sich dick fühlen und rasenden Hunger haben!« Schlaff und energielos waberte sie nebelgleich über die Bühne und störte Hamlet dabei, auszunüchtern. Ihre rote Damenstrumpfhose wirkte provozierend an ihr mit der Laufmasche, die über dem Knie begann und sich in die bodenlosen Himmel ihrer Weiblichkeit fortsetzte. Diese Laufmasche irritierte Hamlet ganz entschieden.
    Der Kaffee war in seinem Plastikbecher erkaltet, die Lampe auf dem Regiepult leuchtete schwach. In das Heft vor sich hatte Dessislava geschrieben: »Ich bin erledigt!« Der Gedanke, dass Hamlet und Ophelia eingemauert waren in ihrer eigenen, hallenden Unfähigkeit und auf immer und ewig hinter dem immateriellen Vorhang der Bühnenstrahler bleiben könnten, entsetzte sie. Sie hatte den Kontakt zu ihnen verloren, so als bewegten sich ihre beiden Hauptdarsteller tatsächlich im fernen Dämmer des sechzehnten Jahrhunderts. Sie hatte das Bedürfnis, ihre eigene Stimme zu hören. Sie musste die Handlung wieder ins zwanzigste Jahrhundert zurückholen! Das Drama um Hamlet hatte Sinn einzig im Hier und Heute. Was am dänischen Hof vor vierhundert Jahren geschehen war, das kratzte doch niemanden mehr, nicht einmal den allgewaltigen Sotirov. »Der übertriebene Drang zur Perfektion«, hatte er ihnen einmal in einer seiner Vorlesungen gesagt, »ist eine Form der Willenlosigkeit und führt zu geistigem Niedergang. Das Perfekte, Vollkommene hat keine Form, folglich auch keinen Sinn und keinen Gehalt. Das haben weder die großen Tyrannen begriffen noch die eingefleischten Pedanten oder gar die unwiderstehlichen Liebhaber. Sollte Casanova wirklich so viele Frauen gehabt haben, wie er in seinen Memoiren beschreibt, hat er sich selbst der geistigen Imaginationskraft beraubt, um das Unergründliche der Frau zu erfassen. Die fünf Bände seiner Erinnerungen können Sie am Slawejkov-Platz kaufen, wenn Sie verstehen wollen, dass Erotik keine Sittenverderbnis ist, sondern eine Kunst. Die Ewigkeit kann keiner besitzen, denn sie ist die unaufhörliche Zukunft. Aus demselben Grund ist auch die Vollkommenheit weder zu erklären noch überhaupt möglich, sondern existiert nur in Annäherung, und ist selbst bei den ganz Großen nur als Aufblitzen oder kurze Berührung vorhanden. Auch die Unsterblichkeit ist so ein zweifelhafter Sieg des Menschen über den Tod, schließlich beginnt sie, nachdem er

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