Seelenasche
Marmeladenbrot frühstückte, in der Schule, beim FuÃball-Training.
Er begann, Bilder von Emilia auszuschneiden und zu sammeln, aus Tageszeitungen, aus den Filmnachrichten , aus den Zeitschriften Frau aktuell und Rosa . Er sammelte sie mit jener Leidenschaft, mit der sein Vater seinerzeit Kräuter und Heilpflanzen zu einem Herbarium zusammentrug, von dem niemand etwas hatte. Christo herbarierte ebenfalls etwas, nämlich den Augenblick der Offenbarung in all seinen Facetten. Seine Tante verwandelte sich auf den Hunderten von Bildern, die sie auf der Bühne oder in Filmen zeigten, und auf diese Weise erhielt Christo seine Vision des Augenblicks und vor allem seine Liebe lebendig. Mit den Jahren belud sich die Erinnerung mit Details, und je unüberschaubarer sie wurde, desto mehr steigerte sich sein Gefühl der Verzückung. Das Vorgefühl einer kommenden, verstörenden Empfindung in seinen Lenden veranlasste ihn, diesen unerreichbaren Körper immer hemmungsloser, mit der Phantasie eines noch unerfahrenen Lüstlings zu betrachten. Er strengte seine Einbildungskraft an, um zu sehen, ob er nicht auch im Gedächtnis behalten hatte, was unter dem messingglänzenden Schamhaar war, stellte sich vor, wie er Emilias Brüste streichelte, die verlockend weià und unberührt von der Sonne geblieben waren; dann zog er ihr in Gedanken schwarze Strümpfe mit roten Strapsen an, wie jene primitiven Nutten sie trugen, die vor den Markthallen und am Bahnhof billig eine Suppenkelle Liebe verkauften. Jede reale Begegnung mit seiner Tante war verstörend für ihn; doch die anderen deuteten seine verräterische Anspannung, die er nicht unter Kontrolle bekam, als Begeisterung über ihr Talent als Schauspielerin. Er begehrte sie, oder vielmehr: er begehrte nicht sie, sondern die Erinnerung, das Sich-Erinnern an jenen Moment im Sommer vor seiner Einschulung â¦
Als Galias Mutter begann, ihm Nachhilfeunterricht in Mathematik zu geben, spürte sie wohl, dass er noch unberührt war. Er wiederum spürte erst ihre Neugier, dann die Wallungen der vernachlässigten Frau, und schlieÃlich erschütterte ihn ihre Ãhnlichkeit mit seiner Tante. Eines frühen Abends zur Zeit der Fliederblüte (Galia war auf einer Klassenfahrt ins Museumsdorf Kopriwschtiza) leistete er keinen Widerstand, als sie ihn zu entkleiden begann und schlieÃlich mitsamt seiner Erregung und Ungeduld auf das nächste Sofa bugsierte.
»Du bist wie er, genau wie er«, heulte sie ihm ins Ohr, erklärte aber nicht, welchen »er« sie meinte. Christo wusste, dass Galias Vater Pilot bei der Luftwaffe gewesen und vor Jahren mit seiner MIG 19 abgestürzt war.
Als er auf ihren aus der Form gegangenen Bauch kam, biss er in ihre runde Ringerschulter und stöhnte: »O Gott, Emilia â¦Â«
»Ja, ich bin Emilia«, schloss sie ihn zärtlich in die Arme. »Du bist wie er, und ich bin deine Emilia.«
Doch selbst dieses Bacchanal voller Selbstverachtung befreite ihn nicht von der verzehrenden Erinnerung. Die Befreiung kam erst später, nach seinem Wehrdienst. In einem aber war Christo sich sicher: Diese betörende, blinde und unbefriedigte Liebe hatte etwas mit seiner verhängnisvollen Zusage im Zimmer der Schuldirektorin zu tun. Diese gemeine, zerrüttende, unmögliche Liebe hatte ihn unterworfen, ihm das Gefühl innerer Freiheit genommen, ihn des Rechts auf freie Wahl beraubt und ihn moralisch verkrüppelt. Nicht so sehr die Angst vor Mathelehrer »Bison« und die Absurdität der Situation waren es, die ihn zu seiner Entscheidung gebracht hatten; diese Dinge hatte der vollendete Zyniker Grigorov ja bewusst inszeniert. Was ihn wirklich dazu bewogen hatte, Denunziant zu werden, war seine fortdauernde emotionale Unfreiheit.
Wenige Tage, bevor er seinen Wehrdienst antrat, schrieb Christo seinen ersten Bericht. Emilia war zu Besuch und trank im Wohnzimmer Campari mit seiner Mutter Ljuba. Seine Tante trug ein Plisseekleid mit recht freizügigem Dekolleté, das ihre straffen Körperformen unterstrich. Er trat ein und â errötete. Das wiederholte sich nun schon seit zwölf Jahren. Seine Hose beulte sich vorn verräterisch aus, sodass er gezwungen war, sich zu ihnen zu setzen. Ein unwiderstehliches Verlangen erfasste ihn, begleitet von jener sündigen Phantasie, die mehr ihn als sie erniedrigte. Er wollte sie nackt sehen, beschmutzt und von der Haut des Heilschlamms
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