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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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deines Auftritts?«
    Â»Wenn du uns einen Whisky machst, sag ich’s dir.«
    Die Ärzte hatten Assen geraten, jeden Tag fünfzig Gramm Alkohol zu sich zu nehmen, und Jordan wusste dies natürlich. Sie stießen an, die Gläser klangen voller Herzlichkeit. In seiner knisternden Skijacke, seinen engen Hosen und hohen Stiefeln sah Jordan aus wie ein Katalogmodell, das für einen Wintersportort warb. Assens Gefühle für diesen seinen Sohn waren äußerst gemischt: Liebe und Widerwillen oder – noch schlimmer – Liebe und Verachtung.
    Â»Ich hab mir eine phantastische Sendung zum Thema Demokratie ausgedacht. Alles Unmögliche, Unerreichbare und Chimärenhafte zieht die Leute ja nun einmal magisch an. Da hab ich beschlossen, dich in meine Sendung einzuladen.«
    Assen sah, wie sein Sohn sich eine Zigarette entzündete, aber nicht seine Jacke auszog. Wie immer, wenn er beruflich unterwegs war, hatte er keine Zeit für Vergnügungen, geschweige denn, sie mit einem langweiligen Alten zu vergeuden.
    Â»Das gehört sich aber nicht. Ich bin schließlich dein Vater.«
    Â»Sicher, wir sind verwandt. Aber in diesem Fall wäre das das Sahnehäubchen auf der Torte, denn obwohl wir verwandt sind, geraten wir natürlich in Streit.«
    Â»Wozu soll das gut sein?«
    Â»Das muss so sein, denn dadurch zeigen wir Demokratie in action , als elementares menschliches Bedürfnis und natürliches Verhalten. Der Generationskonflikt ist außerdem immer ein Schauspiel, da er unlösbar ist und – etwas von der Freiheit des Geistes verrät. Nur keine Sorge, es gibt auch noch einen Wirtschaftsfachmann, einen Schriftsteller, einen Kleinstadt-Bürgermeister et cetera.« Jordan nahm einen ordentlichen Schluck Whisky und stippte die Asche seiner Zigarette gleich in den offenen Kamin ab. »Ich bin auch schon ganz kribbelig zu hören, was dir so zum Thema Demokratie eingefallen ist.«
    Die Glut im Kamin glimmte so schön, als habe sich der Sonnenuntergang auf diese offene Feuerstelle zurückgezogen und verströme sich nun im Wohnzimmer.
    Â»Die Demokratie ist natürlich die Idealvorstellung schlechthin«, begann Assen: »Alle Mitglieder einer Gesellschaft partizipieren an der Macht, der sie sich unterwerfen. Das macht sie potenziell zur gerechtesten, faktisch aber auch zur gefährdetsten Regierungsform, und zwar dann, wenn es in der betreffenden Gesellschaft keine klar ausgearbeiteten Regeln gibt und diese Regeln und Gesetze mangels Transparenz und mangels funktionierender Kontrollinstanzen nicht von allen gleichermaßen eingehalten werden. Dann entartet sie leicht in Anarchie. Folge: Tyrannen und Oligarchen sind Tür und Tor geöffnet.«
    Jordans Miene verdüsterte sich.
    Â»Was hältst du eigentlich von Glasnost und Perestrojka?«
    Die Stimme seines Sohnes holte ihn aus seinen Gedanken.
    Â»Das frage ich mich auch«, erwiderte Assen unverstellt. »Tja, was denke ich von der Perestrojka … Gorbatschow gefällt mir nicht!«
    Â»Ist das denn erlaubt?«
    Jordans spöttischer Ton ärgerte ihn.
    Â»Er redet zu viel … Er redet ununterbrochen, als wüsste er etwas Entscheidendes … Aber immer vertagt er den Moment, in dem er es uns Normalsterblichen mitteilt.«
    Â»Gorbatschow verhält sich wie ein Demokrat.«
    Â»Er verhält sich wie ein Quasselkopf.« Assen suchte nach den richtigen Worten. »Genau genommen, wie ein Tyrann, der Demokratie von oben herab verordnet. Demokratie lässt sich aber nicht durch administrative Beschlüsse säen, bürokratisch und durch Zwang. Mir scheint, Gorbatschow will, dass die Leute Regeln und Gesetze einer Rechtsstaatlichkeit einhalten, die er noch gar nicht wiederhergestellt hat. Im Moment reißt er nur ein. Vielleicht kann ich deshalb noch nichts Sinnvolles und Aussichtsreiches in seinen Veränderungen erkennen.« Nun nahm Assen einen großen Schluck Whisky. »So paradox es auch klingen mag: Diese überkandidelte Demokratie in der Sowjetunion ist bis jetzt weder ein funktionierendes Regierungssystem, noch basiert sie auf einer funktionierenden Wirtschaft wie in China. Sie kommt mir eher wie eine rhetorische Ekstase vor, wie ein Theater, eine Kulthandlung, ja, wie ein religiöses Ritual!« Assen zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr: »Aber was mich am meisten besorgt, ist: Das Ganze ähnelt einem Opferritual! Da soll eine ganze

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