Seelenasche
ängstlich auf die Uhr sehen, um nur deine Sendung nicht zu verpassen.«
»Quatsch«, erwiderte er schläfrig.
»Nein, wirklich, die werden dich von jetzt an jeden Samstag einschalten, weil sie sich dir nahe fühlen, fast wie einem Freund. Und voller Freude und Genugtuung werden sie sich darin überbieten, zu prahlen: âºEin Wahnsinnstyp, dieser Weltschev, ha? Seht euch den doch mal an, den Glückspilz, wie der die ganze ScheiÃe hier durchschaut, wie der den Nagel mal wieder auf den Kopf trifft! Die anderen kennen ihn ja bloà aus der Glotze, wir aber kennen ihn persönlich und haben unser Hühnchen mit ihm gerupft â¦â¹ WeiÃt du, was der Marquis de Sade gesagt hat?«
»Sicherlich, dass man keine Fernsehmoderatoren verhauen darf.«
»Nein. Marquis de Sade hat geschrieben, dass auch Gewalt Menschen verbindet.«
Jordan stöhnte auf.
»Tutâs weh?«, fragte Neda und schmiegte sich an ihn. »Ja, so ist das: Zu groÃe und unverdiente Berühmtheit tut weh!«
Â
Im Spiegel sah er, wie er über diese Erinnerung lächelte. Er lächelte dieser Erinnerung zu. Er lächelte über sich selbst. Das Ausgraben dieses unwiderruflich letzten Momentes ihrer Gemeinsamkeit holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Seine Hand hatte sich so heftig um die Seite mit den buntschillernden Fischen gekrampft, dass er für einen Nu glaubte, er habe ein Aquarium zerdrückt. Neda war unter dem Lichthütchen der Nachttischlampe eingeschlafen. Sie konnte so schön schlafen wie ein Kind, das seine Fäustchen unter der Bettdecke an die Brust gezogen hatte. Ihr Gesicht lächelte im Schlaf, ihre Lider zitterten unruhig. Zen oder Die Kunst, ein Motorrad zu warten war in irgendeine Falte der Decke gerutscht. Jordan fühlte sich einsam, verlassen und â was das Schlimmste war â wie verprügelt!
15
Es war schon elf Uhr, und er konnte die Schlüssel seines Wagens einfach nicht finden. Wie immer hatte er panische Angst, er könne sie verloren oder bei diesem Spezi da, diesem Seelenklempner Grischa, vergessen haben. Gestern waren Neda und er dort zu Besuch gewesen, er hatte sich ein paar ordentliche Wodkas hinter die Binde gekippt, und so war Neda, die nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch eigene Autoschlüssel hatte, auf dem Heimweg gefahren.
Er irrte kopflos durch die Wohnung, suchte in sämtlichen Anzug- und Manteltaschen, in seinen Schreibtischschubladen und seinem Diplomatenköfferchen, ja, er durchwühlte sogar die Täschchen seines gestreiften Schlafanzugs. Einmal im Jahr ging Neda ins nächstgelegene Geschäft und kaufte ihm fünf Paar neue Schlafanzüge auf einmal. Alle waren gleich, und so hatte er das Gefühl, alle Abende des Jahres würden zu einer einzigen endlosen Nacht zusammenrinnen.
Neda war weder knausrig noch verschwenderisch; sie hatte einfach keine Beziehung zum Geld. »Du gibst es aus, weil es da ist«, stichelte Jordan, dabei wusste er, dass er unrecht hatte. Sie suchte sich irgendeinen finsteren Tag aus, an dem einen das Wetter bekloppt machte, und kaufte wahllos ein, bis sie alles ausgegeben hatte, was Jordans Honorare hergaben. Sie kaufte sich sündhaft teure oder spottbillige Kleider, ihrer Tochter Jana eine Sprechpuppe, die lachen, weinen und Pipi machen konnte, bis die Batterie leer war. Ihm besorgte sie Krawatten im Dutzend und Hemden mit der falschen Kragenweite, weil sie einfach nicht behalten konnte, dass er Nummer 42 trug. Danach ging das groÃe Umtauschen los. Eine Woche lang tauschte sie das zu enge Leinensakko gegen ein Sportsakko um, die zu groÃen Mokassins gegen Sandalen oder Tennisschuhe. Nur bei den Pyjamas gab es keine Probleme, die glichen sich stets wie ein Ei dem anderen.
»Aber natürlich«, murmelte er verärgert, »am Morgen tut sie meinen Schlafanzug doch in die Wäsche!« Er lief zum Wäschekorb, wühlte darin, und die Autoschlüssel fielen klirrend aus der Wollstrumpfhose seiner Tochter. Ein Irrenhaus war das â¦
Nun blieben ihm noch fünfzehn Minuten, um sich zu rasieren, sich mit Deo einzusprühen und an seinem verbindlichsten Lächeln zu arbeiten. Im Schlafzimmer fand er seine Tochter auf dem Boden sitzend vor. Sie hatte ihr Englisch-Schulbuch zur Seite gepfeffert und setzte ein UNICEF-Puzzle zusammen, auf dem Aschenputtel neben ihren goldenen Schuhen zu sehen war. Die Pumps sahen attraktiv und unverhältnismäÃig
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