Seelenasche
groà aus, Aschenputtel hingegen unverdient klein und langweilig. Gestern hatte Jana eine Eins in Bulgarisch bekommen, eine Zwei in Mathematik und eine Drei in Sport. Sie hatte also schon erfahren, wie schwer das menschliche Leben sein konnte. Das Kind hob seine blauen Augen, in denen ein verwöhntes Schmollen stand, zu ihm auf und fragte:
»Gehst du nicht ins Kino mit mir?« Im Kino Kultura gaben sie einen Film über die Sahara, und die Klassenlehrerin hatte ihnen aufgegeben, sich den anzuschauen.
»Das geht leider nicht, Liebes«, antwortete Jordan zerstreut, »Papa ist beschäftigt, seine Sendung wird heute Abend direkt übertragen.«
»Hurra«, klatschte sie, »dann erlaubt Mama mir, dich zu sehen.«
Er blieb stehen wie vom Donner gerührt, so lange, bis er merkte, dass er langsam auch mal sein linkes Bein auf den Boden setzen sollte, wenn er nicht umkippen wollte.
»Was hast du da gesagt?«
»Na ja«, sagte Jana unschuldig, »wenn du laif bist, dann erlaubt mir die Mama, den Fernseher anzumachen.«
Er begriff so plötzlich, dass er taumelte wie nach einer schallenden Backpfeife. Etwas ungeheuer Wichtiges, das sich klarzumachen er aber leider absolut keine Zeit hatte. Nedas Hass auf seine Ãffentlichkeit, seine Berühmtheit schien differenzierter zu sein, als er vermutet hatte. Jordan spürte eine kitzlige Feuchtigkeit in seinen Augen; dabei musste er doch heute lächeln, lächeln, lächeln.
Drittes Kapitel
1
Nach und nach verlagerte Assen seine Bibliothek nach Simeonowo und besiedelte das Wochenendhaus mit sich. Er gewann ein Verhältnis zu seiner neuen Bleibe mit ihrer Wendeltreppe ins Obergeschoss, ihren Ecken, in denen Spinnen und abendliches Dunkel sich ein Stelldichein gaben, ihren Nischen mit dem Hauch der Verlassenheit, dem offenen Kaminfeuer und den weichen Reflexen der Flammen an der Decke. Er schaffte sich einen schwarzen Kater mit gelben, abwesenden Augen an, den er Arthur nannte â für Jana, seine Enkelin, machte er sich weis, dabei war es die Einsamkeit, die ihm zusetzte. Das Alter lieà ihn auf der Treppe zum Dachgeschoss zum Verschnaufen anhalten, die späte Junggesellenfreiheit stürzte ihn in Erinnerungen. Stundenlang beobachtete er das junge Tier. Die Katze ist ein mysteriöses Lebewesen voller Egoismus, das Chaos in sein Heim brachte und an nichts und niemanden Anhänglichkeit entwickelte. Es stubste mit den Pfoten seine Stifte und herumliegenden und -stehenden kleinen Gegenstände an und wenn es müde war, sich »Mäuse« auszudenken, rollte es sich zusammen und glich bald seinen Hauspantoffeln. Arthur schlief zu seinen FüÃen, schnurrte selbstzufrieden, spann den Faden seiner Schläfrigkeit und verströmte eine so lebendige Wärme wie ein Stück glimmender Holzkohle.
Langsam und voller Würde zog sich der Winter in die Berge zurück, der Schnee dünnte aus und verschwand, bis gelblich das Gras vom Vorjahr erschien. Im Garten sprossen Schneeglöckchen, gefolgt von Nieswurz und Krokussen, die leuchteten wie brennende Kerzen. Die Bäume bedeckten sich mit Flaum, die Vögel spürten das kommende Frühjahr und mauserten sich. Mit dem Schreiben seines Buches über die Demokratie kam er nur mühsam voran, aber es verschaffte ihm unaussprechliche Befriedigung. Die polemische Auseinandersetzung mit der Arbeit Kotzevs rührte ihn dabei kaum. Er arbeitete mit dem Gefühl, sein zweites Werk von immenser persönlicher Bedeutung zu verfassen, und hatte es ganz und gar nicht eilig. Er überlieà sich nicht vertrauensvoll seiner intellektuellen Erfahrung, sondern seiner Ermüdung. Er hatte sein Buch über die Macht »durchlitten«; mit dem jetzigen war es nicht viel besser, denn immerhin war ja auch die Demokratie eine Regierungsform, folglich eine Spielart der Macht.
Eines schönen Märzabends kreuzte Jordan bei ihm auf mit dem süffisanten Grinsen des berühmten und innerlich leeren Menschen. Der Kater erschrak beim Auftauchen von so viel siegesgewisser Ausstrahlung und versteckte sich unter dem Sofa. In letzter Zeit fühlte Assen sich irgendwie verraten in Gegenwart seines Sohnes und musste an die biblischen Worte denken: »Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet wirst!«
»Mein Gruà an dich gilt allen Eremiten«, scherzte Jordan munter, »doch komm ich nicht, Penunzen zu erbetteln!«
»Und was verschafft mir dann die Ehre
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