Seelenasche
unangenehme, von Pathos erfüllte Vergangenheit geopfert werden im Namen einer Gegenwart in Anführungszeichen , die nicht minder unansehnlich und vor allem â noch gar nicht eingetreten ist!«
Assen machte das arrogante Lächeln seines Sohnes, diese alles verzeihende Ironie rasend. Er kam sich vor, als hätte er sich selbst bestraft.
»Das wird nix«, sagte Jordan kategorisch, »die würden meine Sendung sofort einstellen, wenn du das sagst. Du weiÃt ja: Egal, was die Genossen in der Sowjetunion machen â sie haben immer recht! Ich werde auch Dozent Kotzev einladen, auch wenn er dein Opponent ist. Sein Buch ist erschienen; auÃerdem spricht er von der sozialistischen Demokratie wie von seiner eigenen Tochter. Du hast mir ja selbst von Kotzev und seiner gefährlichen Rührung erzählt. Auf die Zuschauer wirkt so was aber attraktiv.«
Assen hätte sich nie einverstanden erklärt, an einer solchen Sendung mitzuwirken. Er hasste diese demonstrative Sichtbarkeit und sichtbare Demonstrativität des Mediums, für das Jordan arbeitete. Was ihn zusätzlich ärgerte, war die übermäÃige Selbstsicherheit seines Sohnes, der â ein vollendeter Zyniker â sich irgendwie aus allem herauswand, und dies mit unverkennbarem Fleià und groÃer Klugheit.
»Tschuldige, dass ich dir den Whisky austrinke«, warf Jordan hin.
»Und ich bedaure, dass mir jetzt die Arznei ausgegangen ist«, fiel ihm Assen ins Wort. »Ein Prosit dem Erfolg und den berühmten Leuten auf der Welt, die mir in deiner Person begegnet sind!«
Jordans ironisches Lächeln gefror einen Augenblick, doch das hinderte seine modische Skijacke nicht daran, getrost weiter silbrig zu schimmern.
2
Montags und donnerstags fuhr Assen in die Akademie der Wissenschaften. Wenn er abends zurückkam, fand er die Villa verändert vor. Sie war durch die erfahrene, segensreiche und geschickte Hand einer Frau gegangen. Der Tisch, an dem er arbeitete, strahlte aufgeräumt, im Wohnzimmer hatte der Staubsauger gewirkt, im Kühlschrank befanden sich diätetische Lebensmittel, Gemüse, Käse, Milch und Joghurt, seine Hosen waren tadellos gebügelt, und auf seinen Hemden, denen noch der warme Hauch des Bügeleisens entströmte, lag stets ein Zettelchen mit der Aufschrift: »Alles Gute! Neda«.
Die ebenso beständige wie unnötige Fürsorge seiner Schwiegertochter rührte ihn zutiefst. Er stellte sich ihren gespenstisch dünnen Leib vor, ihre nervösen Finger, den Pony über der Stirn und jenes abwesende, undeutbare Lächeln, hinter dem sich wohl das Geheimnis des »modernen Menschen« verbarg. Emilia sah er nur selten. Sie probte intensiv für Mutter Courage , den groÃen Traum ihres unwiderruflichen Alterns. Seine Tochter warf ihm Gemütskälte und Teilnahmslosigkeit vor, sein Sohn war völlig von sich eingenommen. Und nun dieser schlichte, wie aus einer Märchenwelt kommende, wie von einem guten Flaschengeist hingeworfene GruÃ: »Alles Gute! Neda«! Wie sollten seine Augen da nicht feucht werden?
DrauÃen empfing ihn ein sonniger Tag, die Luft duftete angenehm. Er war schon auf dem Weg zur Akademie, da packte ihn auf einmal eine seltsam glückliche Melancholie. Er zog seinen Regenmantel wieder aus, das Sakko und die Krawatte, schlüpfte in seine Pantoffeln und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er machte Feuer im Kamin, dann kochte er sich einen starken Kaffee. Alle Erwartung ist irrational, denn auf der einen Seite steckt sie voller Ungewissheit, auf der anderen ist sie von dem bangen Hoffen begleitet, dass man vielleicht doch wieder nur aufs Bekannte trifft. Der Mensch ist geneigt zu glauben, dass etwas Bedeutendes passieren würde. Er stellt es sich lebhaft vor, spielt es in der Phantasie durch und â fühlt sich am Ende meist belogen und betrogen. Diese Erwartung wird von der Erinnerung generiert, von der Vergangenheit, die auf Kommendes weist und uns in beständige Erwartung versetzt. Wohl darum ist die Zukunft so ungreifbar, unvorhersehbar und vielfältig. Der Schlüssel zur Eingangstür drehte sich im Schloss, behende Schritte huschten durch den Korridor, Arthur sprang unter dem Sessel hervor und schnurrte zärtlich â offenkundig mochte er Neda.
»Grüà dich, Neda«, sagte Assen.
Die junge Frau blieb stehen, als habe man sie auf frischer Untat ertappt. Der Beutel mit den Einkäufen hing
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