Seelenasche
Es war auch Zeit, dass dieser Tag endete! Assen fühlte sich entmutigt und hoffnungslos durcheinander. Auf ihre alten Tage, forciert und irgendwie lächerlich, lieÃen Emilia und er sich scheiden. Schlimmer noch war, dass er seine eigenen Kinder nicht mehr verstand. Irgendetwas Wesentliches entzog sich seiner Kenntnis. Jordan verfolgte eitel bis dorthinaus seine Karriere und glich immer mehr einem selbstverliebten Zyniker, der die Macht genoss, immerzu mit verlogenem Optimismus in den Wohnzimmern der Menschen präsent zu sein. Und Dessislava? Evtimov hatte gesagt: »Mit diesem Mädchen geschieht etwas, in Dessislava muss sich irgendetwas ereignet haben!« Verletzlich und fragil, irgendeiner eigenen Wahrheit verpflichtet, verstrickte sie sich nur in die nächste beklemmende, unerträgliche Lüge. Er könnte nun in Anlehnung an Emilia ausrufen: »Die Sätze, die ich da gelesen habe, sind nur deine nächste Lüge, Dess!«
Was habe ich meinen Kindern denn hinterlassen?, dachte er voller Schmerz. Ich hatte doch nie Zeit für sie! Vielleicht werden sie die Welt gerechter machen? â Er begann zu rauchen. Sah Dessislava als kleines Mädchen mit groÃer weiÃer Schleife im Haar und musste unwillkürlich lächeln. Sie werden die Welt komplizierter und besser machen!
Er trank noch eine Tasse von dem kalt gewordenen Kaffee, aber die Müdigkeit blieb. Einsam, und zum ersten Mal in seinem Leben auch verlassen. Vor vielen Jahren waren Jordan und er aus Widin zurückgekehrt. Der Gebirgspass bei Petrohan lag vor ihnen wie ein abgerolltes Schleifenband. Ein Graupelschauer ging nieder, vermischt mit feinen, gefährlichen Schneeflöckchen. Da sagte sein Sohn etwas, das sich Assen tief einprägte: »Es gibt keinen Generationskonflikt, die Jungen wollen einfach nur, dass die Alten ihnen mit gutem Beispiel vorangehen, aber was bekommen sie? Worte, Worte und nichts als Worte!«
Langsam wurde es ganz dunkel, das Fenster zum Hof wurde blind; dennoch schaltete Assen nicht die Lampe ein. Er lauschte auf die Zufallsgeräusche, so als könnten die ihm das Rätsel auflösen. Einer der Nachbarn schaltete den Fernseher ein, und Assen fuhr zusammen bei der Vorstellung, er könnte die Stimme seines Sohnes hören. Dessislava verspätete sich. Er wollte jetzt gern etwas von Bedeutung, etwas AuÃerordentliches für sie tun, wusste aber nicht, was. Das Einzige, was ihm einfiel, war, ihr Geld dazulassen. Seit sie getrennt lebten, hatten sowohl Emilia als auch er begonnen, die Kinder zu verwöhnen, steckten ihnen unablässig Geld zu. Assen nestelte zwei Zehn-Leva-Scheine aus seinem Portemonnaie, seufzte und legte sie auf den Schreibtisch. Dann schämte er sich plötzlich. Als er schon an der Tür war, kehrte er noch einmal zurück und steckte das Geld wieder ein. Er beugte sich über das aufgeschlagene Heft und schrieb hinein: »Ich danke dir, Dess! Wenn die Abfindung zur Gewalttat geworden ist, dann ist diese immer nach innen, gegen uns selbst gerichtet. â Dein Vater«.
10
Sie sahen sich vor. Grundlos. Verzweifelt. Es grenzte an Blödheit. Sie waren so unglaublich fixiert auf diese Verschwörung, die niemandem nützte, dass es ihm manchmal so vorkam, eines Tages würden sie vor lauter Ãbervorsicht und Geheimnistuerei in den Korridoren und Etagen dieses ramponierten Hotels aneinander vorbeilaufen, ohne sich zu treffen. Sie würden sich verlieren wie die Spuren von Wild im schmelzenden Schnee, wie ein wichtiges Wort in einem Gehirn, das, leer vor Müdigkeit, nichts mehr fasste. Er war es, der darauf bestand. AuÃer seiner scheinbaren und verräterischen Weichheit konnte sich Christo keine weitere Schwäche erlauben, an der man ihn eventuell am Schlafittchen kriegte. Er hatte Erfahrung mit Oberst Grigorov und Major Petrov und hatte gelernt, selbst seinem eigenen Schatten gegenüber misstrauisch zu sein und sich seiner nicht allzu sicher zu sein.
»Ich kann nicht mehr«, sagte Mariana. »Ständig auf der Hut sein wie ein gejagtes Tier ⦠Ich bin es einfach müde!«
»Nur noch ein bisschen«, beruhigte er sie.
»Ein bisschen was?«
»Du musst mich verstehen, Liebste.«
»Was denn verstehen?«
»Ich will keine Schwierigkeiten bekommen. Siehst du denn nicht: Minister Sdravkov kann mich nicht leiden, er hasst mich bis aufs Blut.«
»Alle tun es doch.« Marianas Stimme wurde heiser vor
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