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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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bliese das dröhnende Gebrüll der Bassgitarre sie fort, aber etwas wie ein Anker hielte sie am Stuhl fest. Sie bemerkte Simeons Hand, die mitfühlend die ihre gedrückt hielt. Sie hatte ganz vergessen, dass er das schon seit einer halben Stunde machte. Er beeilte sich nicht, sich zu betrinken. Über sein Gesicht glitt ein Lächeln voller Furcht und Geduld. Simeon wurde geradezu gefährlich geduldig. Die Menschen, die sie kannte, taten zu Anfang unterwürfig, und danach fingen sie an, sie mit beleidigenden Namen zu titulieren, in der Regel »Nutte«. Sie hinterließ den Eindruck bei ihnen, dass sie sie leicht ihrem Willen und ihren Wünschen unterwerfen konnten, dass sie hingebungsvoll, sinnlich und leicht zu haben sei. Keiner wollte Dessislavas Wahrheit, alle schätzten ihre Lügen. Sie glich der anziehenden Fassade eines Hauses, das sie gern betreten wollten, ohne sich dafür zu interessieren, wer darin wohnte. Sie spürte, wie das Verlangen zu lügen wieder in ihr hochkam, schmerzhaft wie ein wachsender Abszess.
    Â»Weißt du eigentlich, Maja«, überschrie sie Donna Summer, »dass Sim und ich heiraten?«
    Â»Und wann?«, fragte ihre Ophelia perplex zurück. Bobby begnügte sich mit einem hysterischen Kichern.
    Â»Ich hatte ihm versprochen: nach der Scheidung meiner Eltern«, antwortete sie ernst. »Stimmt’s, Schätzchen?«
    Simeons Augen schauten treu und voll ungespielter Ehrfurcht – einfach unerträglich. Sie schwammen in Feuchtigkeit, als hätte jemand ihm gerade einen Ziegel ins Kreuz geschmissen.
    Â»Da müsst ihr aber den Hamlet spielen«, warf Bobby ein.
    Â»Das ist nicht der Grund«, korrigierte Dessislava. »Sim und ich lieben uns einfach!«
    Das Tonband war zu Ende und ihre Stimme hallte in der plötzlichen Stille durch das ganze Lokal. Sie war verlegen, aber es gefiel ihr auch. Sie schaute sich um und – fluchte. In der Tür stand Neda, grazil und mager wie eine Ballerina, mit einem unbekannten Typen. Sie schienen zu schwanken, ob sie hereinkommen sollten oder nicht, sahen nervös und unsicher aus. Da Bobby sie verdeckte, konnten sie sie nicht sehen. Der Typ hielt die Hand ihrer Schwägerin. Er schaute besorgt und mit einem Ausdruck von Gram, sein Gesicht war so einfach wie eine Serviette auf dem Küchenschrank. Sie ging jede Wette ein, dass er nach billigem Rasierwasser roch. Da hatte man’s wieder mal: Immer wenn der Mensch schön lügt, wird er auf eine unschöne Wahrheit gestoßen. Die beiden setzten sich an den erstbesten freien Tisch und machten ihr so den Weg zum Ausgang frei. Dieses zweideutige Wort »freimachen« blockierte ihre Gedanken, sie war plötzlich nüchtern geworden.
    Â»Dess macht Scherze«, warf Simeon lau ein.
    Â»Ich mache keine Scherze«, erwiderte sie voller Beklemmung, »aber bevor wir heiraten, möchte ich an die frische Luft.«
    Etwas hinderte sie am Aufstehen, hielt sie zurück. Ihre Beklemmung stieg. Endlich hatte sie es:
    Â»Lass mich mal kurz los«, bat sie Simeon, »ich bin gleich wieder da.«
    Aus den Lautsprechern erklang inzwischen The Wall von Pink Floyd. Der Text des Liedes sprach von einer Mauer, die Menschen errichtet hatten, einer fiesen, unüberwindlichen Mauer. Dessislava hatte es so eilig, dass sie fast auf dem Läufer ausgerutscht wäre. Draußen empfing die Nacht sie kalt und unermesslich. Sie erkannte den Wagen ihres Bruders auf dem Parkplatz, beschienen von den Neonlaternen, an der Farbe und am zerdötschten linken Kotflügel. Sie beschritt den asphaltierten Weg zur Chaussee. Ein eisiger, durchdringender Wind blies und beugte die Tannen, die beängstigend knarrten. Die Angst packte sie langsam. Und die Sterne funkelten unschuldig und teilnahmslos in der kristallklaren Luft.
7
    Dessislava nahm den letzten Bus, der noch von der Endhaltestelle an den Goldenen Brücken in die Stadt hinunterfuhr. Geld für eine Fahrkarte hatte sie nicht, und so verkroch sie sich auf den Ecksitz ganz hinten. Ringsum blitzten schmutzige Schneereste wie kleine Lichtklümpchen, die den Einbruch der Dunkelheit überlebt hatten.
    Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Simeon würde sie vermutlich, wahnsinnig vor Sorge, irgendwo zwischen den Bungalows am Campingplatz suchen. Sie war vollkommen klar im Kopf, in ihrer Brust pochte der Schmerz, sie war fix und verzweifelt. Einen solchen Ekel vor sich und dem Rest der

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