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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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zwischen denen sie lagen.
    Die Tür klemmte wie gewöhnlich, sodass er sie beim Hereinkommen mit der Schulter aufdrückte. Das Licht des späten Nachmittags schien auf der Fensterscheibe zu tränen und lief mit dem kalten Schneeregen an ihr herunter. Mariana saß vor dem trüben Spiegel des Frisiertischchens und starrte hinein, als öffne sich dort gleich ein Ausweg, durch den sie hinausschlüpfen könne. Sie hatte nur das Kettchen mit dem goldenen Herzanhänger abgelegt. Sie weinte. Schön und hingebungsvoll wie ein Kind, das man allein im Leben hatte stehenlassen.
    Â»Liebste …«
    Â»Ich kann so einfach nicht mehr.«
    Â»Wie?«, versuchte er zu scherzen.
    Â»Ich kann einfach nicht mehr.«
    Â»Nur noch ein bisschen«, versuchte er, sie zu beschwichtigen, holte aus der Tasche seines Regenmantels den Flachmann, nahm zwei Gläser vom Waschbecken und goss einen Fingerbreit ein.
    Â»Ein bisschen – was?«
    Â»Dann können wir …«
    Ihm fiel auf die Schnelle keine überzeugende, keine sie tröstende Fortsetzung ein, darum reichte er ihr einfach nur schweigend das Glas.
    Â»Können wir – was?«
    Ihre Augen, langgezogener als je, nahmen alles Grün zusammen und suchten ihn im Spiegel. Enttäuscht waren diese Augen, traurig, erfüllt mit Selbstverachtung, aber auch der Horrorvorstellung, ihn verlieren zu können.
    Â»Er hat dich gekränkt, hm?«
    Â»Du hast ja keine Vorstellung davon, wie er riecht! Nach Schweiß … ranzigem Fett … Und parfümieren tut er sich mit Old Spice … puh! Hast du mal seinen Wabbelbauch bemerkt? Übrigens will er einen Spiegel am Bett und sehen, wie wir uns lieben.«
    Â»Ich benutze auch Old Spice«, sagte Christo.
    Â»Warum behandelst du mich wie eine Nutte? Erregt dich das, wenn ich deine Nutte bin?«
    Er bedauerte Mariana nicht, hatte nicht einmal Mitleid mit ihr, denn sein Herz war in den letzten zwanzig qualvollen Jahren, in denen es sich an das Verschweigen der Liebe gewöhnt hatte, abgestorben, anfangs durch jene verwüstende, absurde und auf ewig unerwiderte Liebe zu seiner Tante Emilia, anschließend durch die unmögliche und unstillbare Liebe zu Dessislava, ihrer Tochter. Zu allem Überfluss war er auch noch allein in die Falle getappt, inbrünstig und mit dem dunklen Drang des Sadomasochisten hatte er sich ins große Spiel eingeschaltet.
    Major Petrov war es tatsächlich gelungen, ihm einen Termin beim allmächtigen Grigorov zu verschaffen, der – wie zu erwarten – inzwischen General geworden war. Grigorov empfing ihn in der holzgetäfelten Zentrale seiner Macht, wo alle Geräusche, auch die menschliche Stimme, derart geschluckt wurden, dass man den Eindruck nicht loswurde, hier müsse sich jeder, der zu lange blieb, in Luft auflösen. So also sieht ein Machtinstrument aus, dachte Christo voller Angst.
    Grigorov war vollständig ergraut. Sein Haar hatte aber diesen gewissen gelblichen Ton, kurz, er war sichtlich gealtert, aber noch kein Greis. Sein unverhüllter Zynismus, mit dem er Christo vor über zehn Jahren niedergewalzt hatte, war feiner geworden, die Klinge seiner Grausamkeit geschliffen und blitzend, das Mordwerkzeug eines wahren Aristokraten. Die Schulterstücke auf seiner Uniform hingegen verliehen seinem Äußeren etwas billig Lakaienhaftes; man dachte unweigerlich, indem dieser Mann die prächtige Generalsuniform mit ihren breiten Lampassen anzog, erkannte er an, dass er nur ein ergebener Diener, ein Piccolo im Hotel der Macht war.
    Grigorov, der Christos ketzerische Gedanken wohl spürte, lächelte verächtlich und mit so frostiger Kälte, dass man meinte, jeden Moment könne er eine stumpfe, klobige Axt hinter dem Schreibtisch hervorholen.
    Â»Wir haben uns lange nicht gesehen, John Lennon.« Wenig respektvoll, eher als werfe er ihm eine milde Gabe hin, reichte er ihm seine saubere Hand, dann wies er auf den Sessel mit den Löwenfüßen, ohne Christo aber Tee oder Kaffee anzubieten.
    Â»Wir haben uns nicht gesehen, seit … Genau genommen sehen wir uns jetzt zum zweiten Mal, Genosse General.«
    Â»Recht hast du, über zehn Jahre sind es her … Die Zeit fliegt.«
    Stille trat ein, eine leere und beschwerte Stille. Christo verspürte auf einmal Harndrang, gleichzeitig packte ihn eine unbändige Lust zu rauchen; er wagte es aber nicht, sich eine Zigarette

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